Septemberblut
Hals. Riskierte sie durch die Verbindung mit dem Vampir womöglich ihre Seele? War die Wirkung des Messers mit den Reliquien im Griff nicht schon allein Beweis genug dafür, dass es falsch war, was sie tat? Mit zitternden Händen kniete sie nieder und hob den Sargdeckel ein Stückchen an. Julius hatte die Verriegelung nicht benutzt.
Durch den Spalt erahnte Amber blasse Haut. Entschlossen öffnete sie den Deckel zur Gänze. Kalt und reglos lag Julius vor ihr. Er hatte seine Augen geschlossen und die Wangen waren eingefallen. Seine dürren Hände ruhten gefaltet auf dem nackten Oberkörper, unter dessen milchweißer Haut sich Muskeln wie knotiges Wurzelholz abzeichneten.
Obwohl er nicht atmete, war sein Anblick nicht erschreckend, sondern auf eine seltsame Weise schön. Er erinnerte sie an zugefrorene Seen. Starr, kalt und malerisch in einem.
Wie sich der Körper des Vampirs jetzt wohl anfühlte?
InAmbers Bauch breitete sich ein ungutes Gefühl aus, ihre Schultern waren angespannt. Konnte sie es wagen?
Sie schloss kurz die Augen. Sie musste es wissen, sie musste wissen, wie er sich anfühlte!
Auf einmal rief das Messer nach ihr. Wusste es, dass vor ihr ein wehrloser Vampir lag?
Frederik hatte viele seiner Opfer getötet, während sie schliefen, erinnerte sie sich.
An einer dünnen Kette um Julius’ Hals hing der Schlüssel. Amber streckte vorsichtig eine Hand aus und hielt inne. Der Körper ihres Freundes strahlte keinerlei Wärme ab. Entschlossen legte sie zwei Finger auf die Stelle über Julius’ Herz. Er war tatsächlich kalt wie Stein, die Haut fühlte sich an wie Leder, und es war kein Herzschlag zu spüren.
Es war unwirklich und irritierend. Ihre Unsicherheit schien das Messer anzuspornen. Ein Brennen breitete sich in ihrem Arm aus. So hatte es sich angefühlt, als sie den jungen Vampir erstochen hatte, genauso! Vor ihrem inneren Auge sah sie auf einmal Julius an dessen Stelle. Starrte in das gemarterte Gesicht ihres Geliebten, während sich sein Körper auflöste!
» Nein! « Ein stummer Schrei explodierte in ihrem Kopf. Etwas stieß sie unsanft zurück. Amber taumelte, fiel hin und setzte sich sofort wieder auf. Was war das?
Alles verschwamm und drehte sich um sie.
Amber presste die Augenlider zusammen, um den Eindruck zu vertreiben, doch in ihrem Kopf hämmerte es wie bei einer heftigen Migräneattacke.
Julius. Es musste Julius sein! Seine verzweifelten Schreie hallten in ihrem Kopf.
Amber rutschte weiter von dem Sarg fort. Sobald sie Abstand nahm, verloren die Schreie ihre Intensität.
Eilige Schritte erklangen auf der Treppe.
»Amber, was ist da los?«
Eswar Robert. Der Diener schlug mit der Faust gegen die Tür. Aber Amber konnte sich nicht bewegen. Alles drehte sich, ihre Knie waren weich.
Ein Schlüssel wurde ins Schloss gesteckt, dann stürzte Robert mit einer Pistole in der Hand herein. Christina stand an seiner Seite, in ihrer Hand blitzte ein Messer.
»Was ist passiert, Amber?!«, schrie Robert und sah sich mit wildem Blick um.
Christina beugte sich über den Sarg und berührte den schlafenden Vampir. »Alles in Ordnung.«
Die Schreie waren verstummt.
»Julius, wir sind hier. Dir geschieht nichts. Alles wird gut.« Die Latina strich dem starren Körper über den Kopf.
Amber saß noch immer auf dem Boden und starrte in den Lauf der Pistole. »Ich, ich habe nichts getan.« Ihre Stimme bebte. »Ich wollte ihn nur ansehen.«
Robert steckte die Waffe in seinen Hosenbund und schloss den Sargdeckel, dann hielt er Amber die Hand hin. »Komm, steh auf.«
Amber sah ihn grimmig an, stieß sich vom Boden ab und kam ohne seine Hilfe auf die Beine. »Ich wollte ihn nur ansehen, mehr nicht. Mehr nicht, verdammt!«
Christina schnitt ihr das Wort ab. »Julius hatte Angst um sein Leben. Und bestimmt nicht nur, weil du ihn angesehen hast!«
Noch immer auf der Suche nach einer Bedrohung tasteten ihre dunklen Augen den Raum ab.
Amber war es unangenehm, dass sie das zerwühlte Bett und die verstreut auf dem Boden liegende Kleidung sah. Auf einmal lächelte Christina. Sie wusste genau, was sie getan hatten.
»Vielleicht hatte Julius nur einen Alptraum? Vampire träumen doch, oder?«, meinte Amber.
Anden Blicken der anderen merkte sie, dass sie nicht an einen Alptraum glaubten.
Erst jetzt wurde Amber klar, dass sie nur eine Unterhose und ein dünnes Hemdchen trug, und sie errötete.
»Ja, sie träumen«, sagte Christina und legte Amber eine Hand auf die Schulter. »Du musst nicht hier unten
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