Septimus Heap 01 - Magyk
ihr weg und versuchte dahinter zu kommen, was hier gespielt wurde. Es war nicht einfach. Das alles ergab keinen Sinn. Er rief sich ins Gedächtnis, was er bei der Jungarmee gelernt hatte.
Tatsachen. Nur Tatsachen zählten. Gut und Schlechte. Also:
Erstens: Entführt. SCHLECHT.
Zweitens: Uniform gestohlen. SCHLECHT.
Drittens: In Müllschlucker gestoßen. SCHLECHT. SEHR SCHLECHT.
Viertens: Auf zugiges stinkendes Boot geworfen. SCHLECHT.
Fünftens: Von Zauberern (noch) nicht getötet. GUT.
Sechstem: Von Zauberern wahrscheinlich bald getötet. SCHLECHT.
Junge 412 zählte die guten und die schlechten Punkte zusammen. Wie üblich überwogen die schlechten, was ihn nicht überraschte.
Nicko und Jenna kletterten aus dem Boot und erklommen die grasbewachsene Uferböschung hinter dem Sandstrand, auf dem die Muriel jetzt mit schlaffen Segeln lag. Nicko wollte als Bootsführer eine Pause einlegen. Er nahm seine Aufgabe als Skipper sehr ernst, und solange er auf der Muriel weilte, fühlte er sich irgendwie für alles verantwortlich und gab sich selbst die Schuld, wenn etwas schief ging. Jenna war froh, dass sie wieder festen Boden unter den Füßen hatte, auch wenn er ziemlich feucht war – das Gras, in das sie sich gesetzt hatte, fühlte sich weich und glitschig an, als sprieße es aus einem großen nassen Schwamm, und obendrauf lag eine dünne Schneeschicht.
In sicherer Entfernung von Jenna hob Junge 412 vorsichtig den Kopf, und was er sah, ließ ihm die Haare zu Berge stehen. Magie. Mächtige Magie.
Er starrte Marcia an. Er konnte den magischen Energienebel sehen, der sie umgab, auch wenn er niemand außer ihm zu überraschen schien. Er schimmerte lila, flimmerte auf ihrem Umhang und überzog ihre dunklen Locken mit einem violetten Glanz. Ihre leuchtend grünen Augen funkelten, während sie in die Unendlichkeit starrte und sich einen Stummfilm ansah, den nur sie sehen konnte. Obwohl Junge 412 bei der Jungarmee eine Ausbildung in Zauberabwehr absolviert hatte, war er tief beeindruckt.
Der Film, den sich Marcia ansah, zeigte natürlich die leiruM und die Spiegelbilder ihrer sechs Besatzungsmitglieder. Sie segelten schnell der breiten Flussmündung entgegen und hatten fast die offene See bei Port erreicht. Ihr Tempo war für ein so kleines Segelboot unglaublich hoch, und zum Erstaunen des Jägers hielt das Schnellboot zwar den Sichtkontakt zur leiruM , kam aber nicht so nahe an sie heran, dass er seine Silberkugel abfeuern konnte. Zudem erlahmten die Kräfte der zehn Ruderer, und der Jäger, der unablässig »Schneller, ihr Idioten!« brüllte, war schon ziemlich heiser.
Der Lehrling hatte die ganze Verfolgungsjagd über brav hinten im Boot gesessen. Je mehr sich der Jäger in seine Wut hineingesteigert hatte, desto kleinlauter war er geworden und desto tiefer hatte er sich in seinem Winkel verkrochen, direkt neben den Schweißfüßen von Ruderer Nummer zehn. Doch irgendwann begann Ruderer Nummer zehn, sehr rüde und höchst interessante Bemerkungen über den Jäger vor sich hin zu murmeln, und der Lehrling wurde wieder etwas mutiger. Er blickte zur leiruM , die förmlich übers Wasser flog. Und je länger er die leiruM beobachtete, desto deutlicher hatte er das Gefühl, das hier etwas faul war.
Schließlich fasste er sich ein Herz und rief dem Jäger zu: »Ist Ihnen schon aufgefallen, dass der Name des Boots rückwärts geschrieben ist?«
»Willst du mich vergackeiern, Bürschchen?«
Der Jäger hatte scharfe Augen, aber vielleicht nicht so scharfe wie ein zehneinhalbjähriger Junge, dessen Hobby es war, Ameisen zu sammeln und zu bestimmen. Nicht umsonst hatte der Lehrling stundenlang hinter der Camera obscura seines Meisters gesessen und aus den fernen Ödlanden den Fluss beobachtet. Er kannte den Namen und die Geschichte jedes Bootes, das ihn befuhr. Er wusste, dass das Boot, das sie vor dem Nebel verfolgt hatten, die Muriel war, gebaut von einem gewissen Robert Gringe und zuletzt als Heringsfänger vermietet. Und er wusste, dass das Boot nach dem Nebel leiruM hieß, und »leiruM« war die spiegelverkehrte Schreibweise von »Muriel«. Und er war lange genug DomDaniels Lehrling, um zu wissen, was das bedeutete.
leiruM war eine Projektion, eine Erscheinung, eine Sinnestäuschung, ein Trugbild.
Zum Glück für den Lehrling, der sich gerade anschickte, den Jäger über diesen interessanten Punkt aufzuklären, leckte im selben Augenblick drüben auf der echten Muriel der Wolfshund Maxie Marcia freundlich die Hand
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