Septimus Heap 02 - Flyte
Durchhalten an.
Stanley hingegen war hellwach. Er saß hinter ihr im Sattel und blickte fröhlich in die Runde. »Beim Anblick von Port schlägt mein Herz immer gleich höher«, erklärte er. »Hier kann man viele Ratten kennen lernen und allerhand unternehmen. Aber daran ist diesmal selbstverständlich nicht zu denken. Diesmal bin ich dienstlich hier. Wer hätte das gedacht? Geheimratte mit dem Auftrag, ein Mitglied des Königshauses aufzuspüren und zurückzubringen. Welch ein Auftakt zu meiner neuen Karriere! Das wird Dawnie eine Lehre sein. Und ihrer doofen Schwester. Ha-ha!«
»Dawnie?«, fragte Jenna, während sie sich vorbeugte und Donner den Hals tätschelte.
»Meine bessere Hälfte. Sozusagen. Sie ist zu ihrer Schwester Mabel gezogen. Und unter uns gesagt, sie bereut es schon. Ha! Mit Mabel ist nicht leicht auszukommen. Und wenn Sie mich fragen, ist das Zusammenleben mit ihr schlichtweg unmöglich.« Stanley blickte zu Jenna und fragte sich, ob ein paar Geschichten über Mabels Fehler gut ankommen würden, entschied sich aber dagegen. Jenna wirkte müde und nachdenklich. »Wir sind bald in Port«, sagte er aufmunternd.
»Fein«, erwiderte Jenna, die zuversichtlicher klang, als sie es tatsächlich war. Die rasch länger werdenden Schatten der Dünen und die kühle Brise, die von der See her wehte, machten ihr klar, dass keine Aussicht mehr bestand, noch vor Einbruch der Nacht Tante Zeldas Hütte zu erreichen. Sie würde in Port übernachten müssen. Aber wo? Nicko hatte ihr viele Geschichten über die lichtscheuen Elemente in Port erzählt, all die Schmuggler und Straßenräuber, Taschendiebe und Langfinger, Ganoven und Banditen, die nur darauf warteten, über sorglose Fremde herzufallen, sobald es dunkel wurde. Was sollte sie tun?
»Vorwärts, Donner«, sagte sie. »Damit wir dort sind, bevor es dunkel wird.«
»Ausgeschlossen«, trällerte Stanley vergnügt. »Wir brauchen noch mindestens eine Stunde. Wenn nicht mehr.«
»Vielen Dank, Stanley«, grummelte Jenna und sah sich ängstlich um, denn mit einem Mal hatte sie das merkwürdige Gefühl, dass sie verfolgt wurden.
Die Nacht war hereingebrochen, als Donner über den Kiesstrand von Port und dann die Südhelling hinauf zum Stadtrand trottete. Seine Hufe klackten laut auf dem Kopfsteinpflaster, und das machte Jenna nervös. Große, baufällige Lagerhäuser säumten die schmalen Straßen. Sie ragten hoch in den Nachthimmel und verwandelten die Straßen in tiefe Schluchten, die Jenna unangenehm an die Ödlande erinnerten und von Donners Hufschlägen widerhallten. Die meisten Gebäude standen leer, doch hie und da erhaschte Jenna einen Blick auf eine Gestalt, die hoch über der Straße an einem Fenster stand, zu ihnen heruntersah und beobachtete, wie sie lärmend ihres Weges zogen.
Stanley piekte Jenna in den Rücken.
»Iiiiih!«, entfuhr es ihr.
»Na, na, keine Bange. Ich bin’s nur.«
»Tut mir leid, Stanley. Ich bin müde. Die Gegend hier ist mir unheimlich. Und ich weiß nicht, wo wir übernachten sollen. Ich war noch nie alleine hier.« Im nächsten Moment fiel ihr auf, dass sie noch nie irgendwo allein gewesen war. Noch gar nie.
»Warum haben Sie denn nichts gesagt? Ich dachte, wir übernachten bei Polizeichef Reeve oder einer anderen Amtsperson von Rang und Namen.« Stanley klang enttäuscht.
»Nein«, grummelte Jenna.
»Ich bin überzeugt, dass er nur zu erfreut wäre, wenn er wüsste, dass eine hochgestellte Persönlichkeit wie Sie in seinem Revier weilt. Ich bin sicher, es wäre ihm eine Ehre ...«
»Nein, Stanley«, unterbrach ihn Jenna entschieden. »Niemand darf erfahren, dass ich hier bin. Ich weiß nicht, wem ich trauen kann.«
»Schon gut«, sagte Stanley. »Ich kann verstehen, dass Mr. Heap Sie ein wenig nervös gemacht hat. Ich mache Ihnen deswegen keinen Vorwurf. Er ist aber auch ein gemeiner Kerl. Unter diesen Umständen würde ich Florrie Bundy vorschlagen. Die Dame führt unten am Hafen eine diskrete Pension, und hinterm Haus gibt es auch einen Stall für das Pferd. Ich bringe Sie hin, wenn Sie wollen.«
»Oh, vielen Dank, Stanley.« Jenna fiel ein Stein vom Herzen. Jetzt erst kam ihr voll zu Bewusstsein, wie sehr sie sich wegen der Übernachtungsfrage gesorgt hatte. Alles, was sie jetzt wollte, war ein Zimmer, in dem sie schlafen konnte.
»Aber wohlgemerkt, es ist nicht gerade das, was ich als elegant bezeichnen würde«, warnte Stanley. »Sie werden etwas ehrlichen Dreck ertragen müssen. Na ja, ein bisschen viel
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