Septimus Heap 02 - Flyte
dem Kai. Stanley, der auf Donners Kopf thronte und nach Lücken in der Menge Ausschau hielt, wies ihr den Weg. »Etwas mehr links. Nein, nein, mehr rechts. Ich hab rechts gemeint. Oh, sehen Sie doch, da vorn ist eine Lücke. Da vorn! Zu spät. Jetzt müssen Sie außen herum.«
»Ach, seien Sie still, Stanley«, raunzte Jenna. Sie fühlte sich plötzlich unbehaglich. Sie spürte genau, dass sie verfolgt wurde. Sie wollte nur noch heraus aus diesem Gewühl, wieder aufs Pferd springen und davonreiten.
»Ich versuche nur zu helfen«, murrte Stanley.
Jenna hörte nicht hin und schob sich mit dem Pferd weiter. »Verzeihung ... würden Sie mich bitte vorbeilassen ... danke ... Verzeihung ...« Sie hatte es fast geschafft. Vor ihr war die Straße zu sehen. Sie musste nur noch an einer Gruppe von Matrosen vorbei, die gerade damit beschäftigt waren, ein Tau zu entwirren, dann war sie aus dem Getümmel heraus. Aber warum zauderte Donner plötzlich, ausgerechnet jetzt, wo es darauf ankam, zügig weiterzugehen? »Nun komm schon, Donner«, befahl sie gereizt. »Los jetzt.« Auf einmal spürte sie einen Ruck an den Zügeln und drehte sich um, um nachzusehen, ob sich Donner irgendwo verfangen hatte.
Der Atem stockte ihr. Eine große Hand hatte den Zügel gepackt. Im Glauben, es sei ein Matrose, der sich ärgerte, weil Donner auf das Tau getreten war, hob sie den Kopf – und blickte in das Gesicht des dunkelhaarigen Fremden, der neben der Oberzollinspektorin gestanden hatte.
»Loslassen«, fuhr Jenna den Mann an. »Lassen Sie mein Pferd los.«
Der Fremde behielt den Zügel in der Hand und sah sie forschend an. »Wer bist du?«, fragte er mit leiser Stimme.
»Das geht Sie nichts an«, erwiderte sie schroff, fest entschlossen, ihre Angst nicht zu zeigen. »Lassen Sie mein Pferd los.«
Der Mann ließ die Zügel los, wandte aber kein Auge von ihr. Er sah sie so durchdringend an, dass sie ganz unsicher wurde. Sie schaute weg, schwang sich in den Sattel und gab Donner die Sporen. Der Rappe fiel in einen schnellen Trab. Der Fremde blieb am Kai zurück und blickte ihr nach.
»Jetzt links«, schrie Stanley, der sich an Donners Ohren festklammerte. »Links, hab ich gesagt!«
Donner trabte nach rechts.
»Wozu mache ich mir eigentlich die Mühe?«, murrte Stanley. Aber Jenna war es gleich, in welche Richtung sie ritten. Ihr war alles recht, Hauptsache, es war weit weg von dem großen Fremden.
* 25 *
25. Das Puppenhaus
» I c h habe mich nicht verirrt«, sagte Stanley beleidigt. »Ein Mitarbeiter des Rattengeheimdienstes verirrt sich nie. Ich vergewissere mich nur, ob wir hier richtig sind.«
»Na schön, aber beeilen Sie sich und vergewissern Sie sich ein bisschen schneller«, sagte Jenna und spähte die Straße hinunter. »Bevor uns der Mann vom Hafen einholt. Ich bin sicher, dass er uns folgt.«
Stanley und Jenna standen mitten auf der Seilerbahn, einer Seitengasse der Tavernenstraße im anrüchigen Teil der Stadt. Jenna war abgestiegen, weil Stanley behauptet hatte, das schäbige Haus vor ihnen sei Florrie Bundys Pension. Leider irrte er. In Wirklichkeit gehörte es dem berüchtigten Porter Hexenzirkel, dessen Mitglieder mit Sicherheit keine Weißen Hexen waren und es nicht gut aufnahmen, wenn spät in der Nacht eine Ratte an ihre Tür pochte. Stanley hatte es nur Jennas raschem Eingreifen zu verdanken, dass er jetzt keine Kröte war. Sie hatte der Hexe eine halbe Silberkrone gegeben, damit sie den Verwandlungszauber rückgängig machte, und ihn auf diese Weise gerettet.
»Also ich verstehe das nicht«, murmelte Stanley, immer noch etwas zittrig. Er betastete mit den Pfoten sein Gesicht, um sich zu vergewissern, dass er wieder sein Rattenfell und keine Krötenwarzen mehr hatte. »Ich war mir ganz sicher, dass das Florries Herberge ist.«
»Vielleicht früher mal«, sagte Jenna verzweifelt. »Vielleicht haben die Hexen auch sie in eine Kröte verwandelt.«
Auf der Straße herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Ein Zirkus gab auf einer Wiese draußen vor der Stadt eine Spätvorstellung, und unablässig strömten laut schwatzende Zirkusgänger an Jenna, Donner und Stanley vorbei.
Aus dem Geschnatter drangen zwei vertraute Stimmen an Jennas Ohr.
»Aber sie hat gesagt, dass wir nicht in den Zirkus gehen sollen.«
»Ach, komm, das wird lustig. Du wirst doch nichts auf den Unsinn geben, den sie uns erzählt hat.«
Jenna kannte die beiden Stimmen. Sie suchte mit den Augen die Menge ab, konnte aber kein bekanntes
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