Septimus Heap 02 - Flyte
Maarten war plötzlich aufgewacht. Sekunden später öffnete sich die Tür ihrer Hütte, und die flackernde Flamme erlosch, weil Jannit die Kerze aus der Hand fiel.
»Was ... was in Neptuns Namen ist denn das?« Wie ein Fuchs, der ein Kaninchen jagt, rannte sie über den Platz, umkurvte Boote, hüpfte über Gerümpel, und Augenblicke später stand sie sprachlos neben Nicko und bestaunte einen unglaublichen, neuen Teil ihrer geliebten Werft. Zugegeben, er war etwas protzig für Jannits einfachen Geschmack. Sie selbst hätte im Traum nicht daran gedacht, ein so riesiges Bootshaus ausgerechnet mit Lapislazuli zu verkleiden, und ganz gewiss hätte sie sich niemals die Mühe gemacht, es mit all diesen merkwürdigen kleinen Bildern zu bemalen. Und was die Goldeinlegearbeiten rings um das Tor anging – nun ja, die waren einfach nur albern. Aber Jannit sah, dass es wirklich eine erstaunliche Halle war, und mittendrin lag ein unglaubliches Boot. Normalerweise warf Jannit nichts so leicht um. Jetzt aber war sie so überwältigt, dass sie sich auf ein umgedrehtes Dingi setzen musste.
»Nicko«, sagte sie leise. »Hast ... hast du etwas damit zu tun? Hast du die Halle entdeckt?«
»Nein, das ... das Drachenboot hat sie gefunden. Es wusste ...« Nicko fehlten die Worte. Er bekam das Bild nicht aus dem Kopf, wie das Drachenboot mit hoch erhobenem Kopf und schnell, viel zu schnell durch den Cut gefahren war. Und dann, während er entsetzt auf die dicke Ringmauer vor dem Boot starrte, hatte plötzlich oben an der Mauer eine goldene Scheibe aufgeblitzt, die er nie zuvor bemerkt hatte. Flammen schössen aus den Nüstern des Drachen, und als sie auf das Gold trafen, schmolz der vermeintlich feste Stein, und die fantastische Lapislazulihöhle kam zum Vorschein. Das Drachenboot glitt ruhig hinein und hielt sachte an. Etwas so Schönes hatte Nicko noch nie zuvor gesehen. Schade, dass Jannit es nicht miterlebt hatte.
Jetzt kletterten Septimus und Jenna von Bord und schritten vorsichtig über die Marmorwege auf beiden Seiten des Drachenhauses. Gleich darauf waren sie draußen bei Nicko und Jannit, und alle vier sahen schweigend zu, wie das Drachenboot sich in dem sicheren Drachenhaus niederließ wie ein Schwan in seinem Nest.
»Wisst ihr«, sagte Jannit nach einer Weile, »früher, als ich noch ein Mädchen war, habe ich mal von etwas Ähnlichem gelesen. Ich war ein ziemlicher Wildfang, und meine Tante schenkte mir ein wunderbares Buch. Wie hieß es noch mal? Ach ja, jetzt weiß ich es wieder – Hundert merkwürdige und kuriose Geschichten für gelangweilte Jungen. Das Buch hat mein Interesse für Boote geweckt. Aber natürlich kann es nicht das Boot sein, von dem ich gelesen habe ...«
»Na ja«, beeilte sich Septimus zu sagen, »das war nur eine Geschichte.«
Jannit warf ihm einen Blick zu. »Ja«, sagte sie in Erinnerung daran, dass er Marcias Lehrling war, »natürlich.«
Während Nicko und Jannit beim Drachenboot sitzen blieben, machte sich Septimus mit Jenna auf den Weg zum Zaubererturm. Er hatte einen Blick in den drachenfesten Beutel geworfen und zu seiner Erleichterung festgestellt, dass Feuerspei noch fest schlief. Und so ging er jetzt, den schlafenden Drachen vorsichtig tragend, müde neben Jenna durch die verlassenen Straßen. Es war dunkel, denn es war Neumond, aber anders als in Port fühlten sie sich in den nächtlichen Straßen der Burg sicher, denn sie kannten alle Ecken und Winkel und wussten, welche Gassen man besser mied und welche Abkürzungen man nehmen konnte. In der Nähe der Zaubererallee erhellte der Schein der Fackeln die Nacht, und sie gingen einen schmalen Pfad entlang. Bald stieß Septimus das alte hölzerne Seitentor auf, das auf den Hof des Zaubererturms führte.
Sie hatten vereinbart, dass Jenna den Rest der Nacht im Turm verbringen und erst am Morgen in den Palast zurückkehren sollte. Jenna stieg hinter Septimus die steile Marmortreppe hinauf. Er murmelte das Losungswort, und die schwere Silbertür schwang lautlos auf.
Leise durchquerten sie die Große Halle. Jenna senkte den Blick. Die Worte WILLKOMMEN; PRINZESSIN UND HERR LEHRLING, GRATULIERE ZUR GLÜCKLICHEN HEIMKEHR, WILLKOMMEN FEUERSPEI huschten in gedämpften Nachtfarben über den Fußboden. Jenna fühlte sich im Innern des Turms so seltsam wie immer. Von dem strengen Geruch nach Magie wurde ihr leicht schwindlig, und obwohl sie eigentlich nichts hören konnte, wusste sie, dass sie von magischen Geräuschen umgeben war. Sie schritt
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