Septimus Heap 03 - Physic
»soll die Tinktur übergeben werden?«
»Sei unbesorgt, ich will dich nicht bitten, sie durch den Spiegel zu bringen, denn ich weiß wohl, wie dir davor graut. Ich bitt dich, leg die Tinktur in eine goldene Schatulle mit dem Symbol der Sonne darauf und wirf sie in den Burggraben neben meinem Haus. Ich werd sie finden.«
»Woher weiß ich, dass Sie sie gefunden haben?«, fragte Septimus.
»Dies wird dir der goldene Flugpfeil verraten, den ich an meiner alten Person bemerket. Ich werd ihn in die Schatulle legen. Bist du Angler?«
»Nein«, antwortete Septimus verdutzt.
»Mich dünkt, dann wirst du einer werden«, kicherte Marcellus. »Der Flugpfeil wird mein Dank an dich seyn und dir große Freiheit bringen.«
»Das hat er schon«, murmelte Septimus, »bis Sie ihn mir weggenommen haben.«
Marcellus hörte es nicht. Er hatte seine Aufmerksamkeit Jenna zugewandt.
»Fürchte nicht, dass meine Mutter dich in deiner Zeit weiter heimsuchet«, sprach er zu ihr. »Obwohl sie von meiner Tinktur trunken, die, obgleich unfertig, ihrem Geist eine gewisse Substanz geben möcht, wird sie dich nimmer belästigen. Der Außergewöhnliche Zauberer und ich werden sie in ihr Porträt einschließen. Mich dünkt, ich sollt auch den Aie-Aie zur Strecke bringen, denn hat er nicht auch von meiner Tinktur trunken? Er ist ein gar giftig Geschöpf und verbreitet mit seinem Biss ein Seuch, was Mama dazu benutzet hat, allen Angst zu machen, die ihr missfallen. Gut, Jenna, es sei beschlossene Sach: Ich will sie beide in das Porträt einschließen und in einem Raum versiegeln, den keiner find.«
»Aber Dad hat ihn entsiegelt«, stieß Jenna hervor.
Marcellus antwortete nicht. Etwas im Spiegel hatte seine Aufmerksamkeit erregt.
»Dad hat was?«, fragte Septimus.
»Er und Gringe haben Etheldreddas Porträt entsiegelt. Weißt du nicht mehr? Es hing im Langgang ...«
Marcellus fiel Jenna ins Wort. Mit unverkennbarer Angst in der Stimme sagte er: »Ich bitt euch, säumt nicht länger, der Spiegel wird unbeständig. Ich seh Risse tief in seinem Innern. Er wird nicht mehr lange halten, fürcht ich. Geht – jetzt oder nie!«
Septimus sah im Innern des Spiegels, was Marcellus gesehen hatte. Hinter langen, trägen Strudeln der Zeit, die sich darin bewegten, bildeten sich Risse an den Rändern des Glases. Marcellus hatte recht. Jetzt oder nie.
»Wir müssen los!«, schrie Septimus. »Sofort!« Er packte Jenna mit der einen und Nicko mit der anderen Hand und lief zum Spiegel.
Im allerletzten Moment riss sich Nicko los. »Ich gehe nicht ohne Snorri.«
»Nicko«, rief Septimus verzweifelt, »du musst mitkommen, du musst!«
»Der Spiegel wird nicht warten«, drängte Marcellus. »Fort mit euch, fort, eh es zu spät ist.«
»Geht!«, rief Nicko. »Ich komme später nach. Versprochen.« Damit rannte er aus der Großen Kammer der Alchemie und Heilkunst.
»Nein, Nicko. Nicht!«, schrie Jenna. »Komm, Jenna«, sagte Septimus. »Wir müssen los.« Jenna nickte, und zusammen mit der roten Katze traten sie in den Spiegel und schritten durch die flüssige Kälte der Zeit.
* 44 *
44. Der Suchzauber
D i e Große Tür der Zeit schloss sich lautlos hinter ihnen.
»Nicko«, schluchzte Jenna. »Nicko!«
»Das hat keinen Sinn, Jenna«, sagte Septimus müde. »Er ist jetzt fünfhundert Jahre von uns entfernt.«
Jenna sah ihn ungläubig an. Sie hatte erwartet, dass sie in der Burg herauskommen würden, doch jetzt gingen sie durch einen schmutzigen unterirdischen Gang, der von komischen Glaskugeln beleuchtet wurde. »Wie? Du meinst, wir sind schon zurück ... zurück in unserer Zeit?«
Septimus nickte. »Wir sind zu Hause, Jenna. Das ist der Altweg. Er ist wirklich sehr alt. Er verläuft noch weit unter den Eistunneln.«
»Und hier lebt der alte Marcellus?«, fragte Jenna. »Man sollte meinen, dass er uns erwartet, weil er ja weiß, dass wir kommen.«
»Fünfhundert Jahre sind eine lange Zeit, da kann man leicht etwas vergessen, Jenna. Ich glaube nicht, dass er noch weiß, was vor sich geht. Er wird hier irgendwo sein. Komm, machen wir, dass wir hier herauskommen.«
Mit der Miene eines erfahrenen Reisenden schritt Septimus den Langgang entlang, und Jenna stapfte, Ullr an sich drückend, hinter ihm her. Sie sprachen beim Gehen kein Wort, denn beide waren in Gedanken bei Nicko.
Nach einer Weile sagte Jenna: »Falls Nicko jemals durchkommt, wie soll er dann den Weg zurück finden?«
»Nicko wird schon einen Weg finden, Jenna«, antwortete
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