Septimus Heap 03 - Physic
Küchenhilfe, ehemalige Dienstmagd im Puppenhaus und frischgebackene Inhaberin der Hafenkonditorei – packte die Pasteten ein und legte Teile einer zerbrochenen Pastete dazu. »Für deine Katze«, sagte sie.
»Danke«, sagte Snorri, und während sie die warmen Pasteten an sich drückte, dachte sie, dass es in Port eigentlich gar nicht so übel war. Im selben Augenblick, als sie den Laden verließ, hörte sie Maureen kreischen.
»Ratten! Schnell, Kevin! Kevin! Fang sie!«
Snorri und Ullr saßen auf der Hafenmauer am Händlerkai und aßen ihre Pasteten. Ullr, der vor Einbruch der Nacht immer sehr hungrig wurde, fraß zuerst die Abfälle, die Maureen ihnen geschenkt hatte, und verputzte anschließend die Pastete, die Snorri ihm gekauft hatte. Als der Himmel sich verdunkelte und von Westen her graue Wolken aufzogen, sahen sie zu, wie ein Schlepper die Alfrun vom Händlerkai fortschleppte und Kurs auf das Quarantänedock nahm, das in einem Sumpfgebiet auf der anderen Seite der Flussmündung lag. Trotz der warmen Pastete, Ullrs Gesellschaft und Alices Nettles Einladung wurde Snorri sehr elend zumute, als die Alfrun die ruhigen Hafengewässer verließ und auf den Gezeitenwellen im schwarzen Wasser heftig hin und her schaukelte. Die Worte ihrer Mutter kamen ihr in den Sinn. »Du bist eine Närrin, Snorri Snorrelssen, wenn du glaubst, du könntest selbst Handel treiben – was soll denn an dir so besonders sein? Das ist doch kein Leben für eine Frau, geschweige denn für ein vierzehnjähriges Mädchen. Dein Vater Olaf, Friede seiner Seele, wäre entsetzt, jawohl entsetzt, Snorri. Der arme Mann wusste nicht, was er tat, als er dir sein Kaufmannspatent vermacht hat. Versprich mir, um Freyas willen, dass du nicht in See stichst. Snorri – Snorri! Komm auf der Stelle zurück!«
Aber Snorri hatte nichts versprochen, und sie war auch nicht auf der Stelle zurückgekommen. Und so war sie jetzt hier, gestrandet in einem fremden Hafen, und musste zusehen, wie ihr Boot – und mit ihm all ihre Hoffnungen – fortgeschleppt wurde, um an einem verseuchten Liegeplatz am Ende der Welt zu verrotten. Seufzend stand sie auf. »Komm, Ullr.«
Sie brachen auf, als die ersten Tropfen eines kalten Herbstregens fielen. Mit Hilfe von Alices Beschreibung war der Weg eigentlich leicht zu finden, aber Snorri war noch ganz in Gedanken, und bald stellte sie fest, dass sie sich zwischen den vielen baufälligen Lagerhäusern und tattrigen alten Geistern verlaufen hatte. Snorri war noch nie so zwielichtig aussehenden Geistern begegnet. Die Straßen hier wimmelten von alten Schmugglern und Räubern, Trunkenbolden und Dieben, die drängelten, fluchten und spuckten, ganz so, wie sie es zu ihren Lebzeiten getan hatten. Die meisten schenkten Snorri keine Beachtung, denn sie waren zu sehr damit beschäftigt, sich gegenseitig zu bekämpfen, von den Lebenden Notiz zu nehmen oder sich die Mühe zu machen, ihnen zu erscheinen. Aber ein oder zwei, denen aufgefallen war, dass Snorri sie sehen konnte, folgten ihr durch die Straßen und weideten sich an ihrem ängstlichen Blick, wenn sie sich umdrehte, um festzustellen, ob sie noch da waren.
Der Regen wurde stärker und Snorri immer verzagter. Sie hatte keinen Kompass, keine Karte, und alles sah für sie gleich aus. Straße um Straße große schwarze Schatten, die hoch emporragten und den Blick zum Himmel versperrten. Lieber wäre sie bei haushohen Wellen mit der Alfrun auf dem Nordmeer getrieben, als zwischen diesen bedrohlichen alten Lagerhäusern umherzuirren. Verzweifelt sah sie sich um und hielt nach der blauen Pforte in dem grünen Tor Ausschau – oder war es eine grüne Pforte in einem blauen Tor? Panik ergriff sie. Sie blieb stehen und versuchte sich zu orientieren. Doch die Geister, die ihr gefolgt waren, umringten sie, sodass sie nicht mehr sehen konnte, wo sie war. Wohin sie auch blickte, nur feixende Gesichter mit verfaulten Zähnen, gebrochenen Nasen, Blumenkohlohren und geblendeten Augen.
»Verschwindet!«, schrie Snorri, und ihr Schrei hallte durch die Straßenschlucht.
»Hast du dich verirrt, Schätzchen?«, fragte eine sanfte Stimme ganz in der Nähe. Neugierig, wer da gesprochen hatte, ging Snorri einfach mitten durch die Geister hindurch, wofür sie wütende Proteste und Verwünschungen erntete. Eine junge Frau, in verschiedenen Schwarztönen gekleidet, lehnte ein paar Meter entfernt im Schatten eines Toreingangs – es war eine blaue Tür in einem grünen Lagerhaustor. Auf dem gemauerten
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