Septimus Heap 03 - Physic
Lagerhaus Nummer Neun.
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29. Lagerhaus Nummer Neun
S n orri schlief tief und fest, als Alice Nettles spät in der Nacht nach Hause kam. Nach der stürmischen Rückfahrt von dem Schiff, dessen Besatzung sich sehr unkooperativ gezeigt hatte, war die Oberzollinspektorin müde, durchgefroren und durchnässt, doch sie lächelte, als sie die kleine blaue Tür öffnete, denn der Geist Alther Mellas begleitete sie.
Alther hatte einen schwierigen Tag im Palast hinter sich. Am Nachmittag hatte Marcia, ehe sie sich auf den Weg in die Hermetische Kammer zu Jillie Djinn machte, zu ihm gesagt: »Nein, Alther, ich wünsche niemanden zu sehen – nicht einmal Sie. Nein, ich weiß nicht, wann ich wieder ausgehen werde. Wahrscheinlich monatelang nicht. Jetzt gehen Sie.« Alther hatte im Palast weiter nach Jenna und Septimus gesucht, jedoch keine Spur von ihnen gefunden. Allerdings tauchten immer neue Gerüchte über ihr Verschwinden auf, und langsam drängte sich ihm der Eindruck auf, dass Feuerspei etwas damit zu tun hatte, zumal der Drache nun ebenfalls verschwunden war. Doch abgesehen davon wurde Alther aus dieser ganzen Geschichte nicht schlau. Er konnte einfach nicht glauben, dass der Brief, den Marcia gefunden hatte, tatsächlich von Septimus stammte. Er hoffte immer noch, dass Jenna und Septimus nur zu Besuch bei Tante Zelda waren. Doch als sich der Tag dem Ende neigte, begriff er, dass er sich an einen Strohhalm klammerte, denn er wusste, dass Tante Zelda ihnen niemals erlauben würde, so lange wegzubleiben.
Bei Einbruch der Nacht gestand er sich endlich ein, dass der Brief von Septimus echt war. Er ging zu Silas, der immer verzweifelter wurde und mit Maxie trübsinnig am Palasttor saß und auf Gringe wartete, und sagte zu ihm, dass er »noch ein paar Hinweisen« nachgehen müsse und am nächsten Morgen wiederkommen werde.
Was er damit gemeint hatte, war, dass er unbedingt mit Alice Nettles sprechen musste.
So kam es, dass Alice, als sie über die kabbelige See zu den freundlichen Lichtern von Port zurückgerudert wurde, den Geist Alther Mellas am Kai hatte stehen sehen, so wie sie ihn viele Jahre zuvor schon einmal dort hatte stehen sehen, als er noch lebte und Außergewöhnlicher Zauberer war. An jenem denkwürdigen Tag kam sie vom alljährlichen Überraschungspicknick des königlichen Hofs zurück. Alther hatte herausgefunden, wo das Picknick stattfand – auf der windigen Sandinsel ein paar Meilen südlich von Port –, und war eigens gekommen, um sie zu sehen. Alice war nie zuvor und auch später nie wieder so glücklich gewesen wie in diesem Augenblick, als sie Althers lila gekleidete Gestalt erkannte, wie sie aufs Meer hinausblickte und nach ihr Ausschau hielt. Zwei Wochen später war Alther tot, gestorben durch die Kugel eines Mörders.
Jetzt nahm Alice eine Kerze aus dem Glas und entzündete sie. Alther folgte ihr durch die engen Schluchten, die sich zwischen hohen, wackligen Stapeln alter Schiffsgüter durch die Halle schlängelten. Das Licht der Kerze warf tanzende Schatten auf alte Holztruhen, Möbel und Gerümpel aller Art, darunter auch eine festlich geschmückte Kutsche mit riesigen roten Rädern, vor die zwei ausgestopfte Tiger gespannt waren. Alther erschrak beim Anblick ihrer glitzernden Glasaugen. Sie schienen ihn vorwurfsvoll anzusehen, als ob er für ihr Los verantwortlich sei.
Alices Lagerhaus war nur eines von vielen im alten Teil des Hafens und vollgestopft mit den Ladungen längst verrotteter Schiffe, deren längst gestorbene Besitzer oder Kapitäne es versäumt oder abgelehnt hatten, den Zoll auf ihre Waren zu bezahlen. Nun würde er nie bezahlt werden, denn ein Großteil war Jahrhunderte alt, und die Zinsen auf die Zollgebühren überstiegen den Wert der Waren um ein Vielfaches.
Nach vielen Windungen und Kurven gelangten Alice und Alther zu der Treppe im hinteren Teil des Lagerhauses. Mit klappernden Schritten stieg Alice die steilen Eisenstufen hinauf, vorbei an mehreren Etagen, auf denen sich Kostbarkeiten und Plunder bis unter die Decke türmten. Alles war mit Staub und Spinnweben bedeckt.
»Es ist mir ein Rätsel«, sagte Alther, »wie du in dieser Bruchbude leben kannst. Wo du doch das prächtige Haus des Oberzollinspektors an Kai Eins haben könntest.«
»Kann ich mir auch nicht erklären«, erwiderte Alice, etwas außer Atem, da sie bereits im fünften Stock und noch immer nicht am Ziel waren. »Das muss mit einem alten Geist zu tun haben, der mir unbedingt überallhin
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