Septimus Heap 06 - Darke
hören. Plötzlich begann sie, sehr zu Marcellus’ Missfallen, zu rennen. Sie konnte es nicht ertragen, dass die Stimme ihrer Mutter wieder von der Dunkelheit verschluckt wurde. Diesmal musste sie zu ihr.
Jenna flog förmlich durch den Tunnel und zwang Septimus und Marcellus, dem Hexenmantel zu folgen, der hinter ihr herflatterte wie große schwarze Flügel. Schließlich waren sie am Ende des Tunnels, und der Anblick, der sich ihnen dort bot, war so merkwürdig, dass sie sich keinen Reim darauf machen konnten, Septimus nicht und Marcellus schon gar nicht.
Zunächst sah Septimus nur Donner, der mit den Hufen stampfte, den Kopf in den Nacken warf und mit den Augen rollte – ein verschrecktes Pferd, das durchgehen wollte. Ein Mann hielt ihn an der Mähne fest und redete ihm mit leiser Stimme gut zu, aber ohne großen Erfolg, wie es schien. Hinter dem Pferd, fast vollständig verdeckt durch seinen massigen, mit einer Sternendecke bedeckten Leib, sah er den Saum von Lucy Gringes besticktem Kleid und ein Paar klobige Stiefel. Und dann entdeckte er Jennas Hexenmantel – unter dem vier Füße hervorschauten – und schließlich, als Donner sich plötzlich drehte, Jenna selbst. Sie hielt ihre Mutter in den Armen und hatte ihren Mantel um sie geschlungen, als wollte sie sie nie wieder loslassen. Auch Lucy hatte sich an jemanden geklammert ...
»Simon!«, stieß Septimus hervor und drehte sich zu Marcellus um. »Mein Bruder. Natürlich. Wie hätte es auch anders sein können. Er steckt hinter allem. Darum ging es also in seinem schaurigen Brief: Hüte dich vor den Dunkelkräften. Jetzt wird mir alles klar.«
Simon hatte jedes Wort gehört. »Nein!«, protestierte er. »Nein, so ist es nicht. Nein! Ich ...«
»Sei still, du Scheusal«, fuhr ihn Septimus an.
Marcellus wusste nicht, was hier vorging. Aber eins wusste er: Ein Dunkelfeld war kein geeigneter Austragungsort für einen Familienstreit.
»So glaub mir doch, ich habe nichts damit zu tun«, beteuerte Simon, halb flehend, halb zornig, weil schon wieder ihm die Schuld für etwas gegeben wurde, womit er nichts zu tun hatte.
»Du Lügner!«, explodierte Septimus. »Wie kannst du es wagen, hierherzukommen und ...«
»Sei still, Lehrling!«, schimpfte Marcellus.
Septimus war so schockiert, dass er mitten im Satz abbrach. In dieser Weise hatte ihn Marcellus, der sonst immer ausnehmend höflich war, noch nie angefahren.
Marcellus nutzte das verdutzte Schweigen. »Wenn euch euer Leben lieb ist, tut ihr jetzt, was ich sage, und zwar alle«, befahl er in gebieterischem Ton. »Sofort.«
Mit einem Schlag kam ihnen wieder zu Bewusstsein, in welch gefährlicher Lage sie sich befanden. Alle nickten, sogar Simon.
»Na also«, sagte Marcellus. »Jenna, Sie kennen den Weg, deshalb gehen Sie mit dem Pferd voraus. Mit seiner Hilfe können Sie den Weg ein wenig frei machen.« Simon wollte etwas einwenden, doch Marcellus sprach weiter: »Wenn Sie mit dem Leben davonkommen wollen, tun Sie, was ich sage. Septimus, deine Mutter ist sehr schwach. Du wirst feststellen, dass dein Dunkelschleier dehnbar ist und auch für zwei reicht. Er wird sie vor dem Schlimmsten schützen. Ich komme mit der jungen Dame und Simon Heap nach – der sind Sie doch, nicht wahr?« Simon nickte. »In diesen drei Gruppen werden wir dicht hintereinander gehen. So kommen wir in dem zähen Nebel am besten voran. Ich bitte mir absolute Ruhe aus. Und keine Widerworte. Jedweder Art. Ist das klar?«
Alle nickten.
Und so machten sie sich wie Gänse in V-Formation auf den Weg, Jenna mit Donner vorneweg, dann Septimus und Sarah Heap gemeinsam unter dem Dunkelschleier, und am Ende Marcellus, der seinen Mantel auf der einen Seite um Simon und auf der anderen Seite um Lucy gelegt hatte.
Als sie losliefen, murmelte Jenna leise ihr Ziel vor sich hin. Sie wusste nicht, warum sie das tat, doch kaum hatte sie es ausgesprochen, war sie fest davon überzeugt, dass sie den Weg finden würde. Bald bog sie von der Zaubererallee in die Gassen ab, die zum nächstgelegenen Eingang in die Anwanden führten. Die Stille in dem schwarzen Nebel war ihr willkommen. So konnte sie sich besser konzentrieren, und von dem Hexenmantel ging etwas aus, das ihr inmitten der Gefahr, die sie umgab, ein Gefühl der Sicherheit gab. Sie kam mühelos voran, und als sie sich umdrehte, um festzustellen, ob ihr noch alle folgten, sah sie, dass sie zusammen mit Donner den anderen einen Weg bahnte. Nicht zum ersten Mal staunte sie über die Macht ihres
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