Septimus Heap 06 - Darke
Fuge näher kam, leitete Feuerspei das seltene Pfeilflugmanöver ein. Er legte die Flügel dicht an den Körper und brachte sich in eine vollkommen senkrechte Lage, was Marcia nötigte, von dem Panikstachel den Gebrauch zu machen, dem er seinen Namen verdankte, weil man sich nämlich in panischer Angst daran festhielt. Dann reckte Feuerspei die Nase zum Himmel und schoss wie ein drachenförmiger Armbrustbolzen mit blitzartiger Geschwindigkeit durch die Dehnungsfuge, ohne sie zu beschädigen, so wie er es schon zwei Tage zuvor getan hatte, nur in der umgekehrten Richtung.
Geist und Drache flogen durch den schwarzen Nebel davon. Ihr Ziel war die Aufsichtsbude an der Handwerkermeile.
Unten in Marcias Gemächern erkannte die große lila Tür Silas Heap. Sie öffnete sich, und Silas trat ein.
»Marcia?«, flüsterte er.
Es kam keine Antwort. Der Feuerschein flackerte und warf sonderbare Schatten an die Wand – Schatten eines Zwerges und eines Menschen, der einen Stapel Donuts auf dem Kopf balancierte.
Silas wurde etwas unheimlich zumute. »Marcia ... sind Sie da? Ich bin’s nur, Silas. Ich wollte nachsehen, ob es Ihnen gut geht. Ich ... na ja, ich fand, dass Sie etwas einsam aussahen. Brauchen Sie Gesellschaft? Marcia?«
Es kam keine Antwort. Der Vogel war ausgeflogen.
* 45 *
45. Drachen
D r außen ist es herrlich.« Die Stimme der Hexenmutter tönte wie eine Glocke durch die Dunkelheit. Aus ihrer Deckung in der Aufsichtsbude an der Handwerkermeile beobachteten Jenna, Septimus und Nicko, wie die fünf schattenhaften Gestalten des Porter Hexenzirkels so unbeschwert vorbeischlenderten, als machten sie einen Spaziergang an einem Sommertag. Hinter ihnen trippelte, nicht ganz so unbeschwert, Nursie unter einer schwarzmagischen Decke. »Da geht dein Zirkel, Jenna«, flüsterte Septimus.
»Lass das, Sep«, zischte Jenna. Der Anblick der fünf unförmigen Schatten erinnerte sie daran, welche Ängste sie in der Schicksalskiste ausgestanden hatte. Während sie zusah, wie die Hexen fröhlich im Zeremonienweg verschwanden, merkte sie, dass sie ihren Hexenmantel plötzlich etwas weniger mochte.
Jenna, Septimus und Nicko warteten auf Feuerspei. Sie hatten dafür einen abseits gelegenen Platz gewählt, auf dem der Drache leicht landen konnte. Alther war losgeflogen, um Feuerspei zu holen. Er hatte versprochen, sich zu beeilen, aber ihnen war klar, dass alles Mögliche schiefgehen konnte. Jede Minute in der Aufsichtsbude kam ihnen wie eine Stunde vor. Doch der Augenblick, als der Schatten eines Drachens über ihnen auftauchte, erschien ihnen wie eine gnadenlose Ewigkeit. Keiner dachte auch nur eine Sekunde lang, dass es Feuerspei sein könnte.
Weit entfernt von der fliegerischen Eleganz Feuerspeis tauchte der sechsflügelige Drache schwerfällig aus dem Nebel auf und landete nach zwei gescheiterten Versuchen mit einem lauten Plumps auf dem erhöhten Rund, das das Zentrum der Handwerkermeile war. Die Aufsichtsbude wurde in ihren Grundfesten erschüttert.
Jenna, Septimus und Nicko verkrochen sich in die hinterste Ecke der Bude, überzeugt davon, dass der Dunkeldrache ihre Anwesenheit spürte. Mit seinen hektischen Flügelschlägen bei den Landeversuchen hatte er den Nebel vertrieben, sodass sie ihn jetzt in erschreckender Deutlichkeit sehen konnten.
Seine gewaltige Größe war ein Schock – Feuerspei nahm sich gegen ihn wie eine zierliche Libelle aus. Der Drache hockte sich unbeholfen hin, verlagerte das Gewicht seines massigen Leibs von einem baumstammdicken Bein auf das andere und ließ dabei unablässig eine gespaltene weiße Zunge aus dem roten Schlitz seines Maules schnellen. Er schüttelte den klobigen Kopf und rollte die Augen – alle sechs. Diese Augen waren rund um den Kopf so angeordnet, dass der Drache beinahe ein Sichtfeld von dreihundertsechzig Grad hatte – der tote Winkel betrug bei ihm nur zehn Grad im Vergleich zu neunzig Grad bei normalen Drachen. Diese alles sehenden Augen drehten sich wie glitzernde rote Kugeln, während der Drache die klapprigen Marktbuden inspizierte. Spitze Stacheln, die wie Angelhaken mit Widerhaken versehen waren, liefen über seinen Rücken, und seine vier gewaltigen Füße waren mit schwarzen Krallen bewehrt, von denen jede wie ein Krummsäbel geformt und ebenso scharf war. Sie boten einen furchterregenden Anblick, doch das Erschreckendste war, dass auf eine Kralle ein blauer Stofffetzen gespießt war, an dem etwas Rotes und Fleischiges klebte. Jenna vergrub das Gesicht
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