Septimus Heap 06 - Darke
verließ sich lieber auf ihre persönlichen Zauberkräfte, weswegen Verfechter der reinen Lehre ihre Magie gern als unausgewogen bezeichneten (auch wenn sie ihr das nie ins Gesicht sagten). Aber in der Tat waren jene Zauberer am mächtigsten, die es verstanden, ein perfektes Gleichgewicht herzustellen – und genau darum ging es in der Schwarzkunstwoche. Der Außergewöhnliche Lehrling sollte in dieser Zeit persönliche Erfahrungen mit der schwarzen Magie sammeln und magische Fähigkeiten erwerben, die mit allem im Einklang standen, sogar mit den Dunkelkräften.
Marcia hatte einen zusätzlichen Grund, mit Sorge die Schwarzkunstwoche ihres Lehrlings zu erwarten. In letzter Zeit war ihr aufgefallen, dass der Zaubererturm mehr Magie als sonst erforderte, um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten. Es hatte eine Reihe kleinerer Pannen gegeben – eines Tages war die Treppe ohne Grund ausgefallen, und auf dem Fußboden leuchteten immer wieder wirre Meldungen auf. In der vorigen Woche hatten die Zauberer eine ernste Schwarzspinnenplage eindämmen müssen, und erst gestern hatte Marcia zweimal das Kennwort für die Türen erneuern müssen. Jeder Vorfall für sich hätte sie nicht beunruhigt – solche Dinge kamen gelegentlich vor –, aber in ihrer Summe hatten sie Marcia aufgeschreckt. Und aus diesem Grund sagte sie jetzt zu ihrem Lehrling: »Ich weiß, die Entscheidung liegt allein bei dir, Septimus, aber es wäre mir lieber, du würdest deine Schwarzkunstwoche nicht sofort antreten.«
Marcia saß unbehaglich am äußersten Ende ihres Sofas. Und zwar deshalb, weil ein Großteil des Sofas bereits von einem spitzbärtigen Mann in Beschlag genommen war, der, zusammengerollt wie eine Katze, tief und fest schlief. Die langen, eleganten Finger des Mannes ruhten sanft auf dem lila Samtbezug des Sofas, dessen Farbe sich scharf vom Gelb seines Anzugs und seines hohen Hutes abhob, der aussah, als hätte man einen Haufen immer kleiner werdender Donuts auf seinem Kopf gestapelt. Dieser wunderliche Schläfer war Jim Knee, Septimus’ Dschinn, der in Winterschlaf gefallen war. Er schlief seit nunmehr ungefähr vier Wochen, seit es draußen spürbar kalt geworden war. Sein Atem ging langsam und regelmäßig und wurde nur von kurzen, lauten Schnarchern unterbrochen, die ihm von Zeit zu Zeit entschlüpften.
Marcia teilte ihr Sofa nicht gern mit ihm, aber es war ihr immer noch lieber als ein wacher Jim Knee. Ohne den Dschinn zu beachten, schlug sie den Lehrlingsalmanach auf, den sie auf den Knien balancierte – ein großes dickes Buch mit einem Ledereinband, der früher einmal hellgrün gewesen sein mochte. Langsam blätterte sie die Pergamentseiten um, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. Sie spähte durch ihre neue, kleine Goldrandbrille auf den eng geschriebenen Text.
»Zum Glück hast du deine Lehre zu einem Zeitpunkt angetreten, der dir einen großen zeitlichen Spielraum lässt, wann du die Woche absolvieren willst. Nach dem Mittwinterfest bleiben dir genau sieben Wochen Zeit, um deine Schwarzkunstwoche abzuleisten. Habe ich nicht recht, Marcellus?« Marcia blickte über ihre Brille hinweg zu einem Mann, der Septimus gegenüber auf einem Stuhl mit gerader Lehne saß, und sah ihn herausfordernd an.
Es war erst das zweite Mal, dass Marcia Marcellus Pye in ihre Gemächer im Zaubererturm eingeladen hatte, und das auch nur, um einem alten Brauch Genüge zu tun. In früheren Zeiten war der Burg-Alchimist – der Marcellus einst gewesen war – stets zurate gezogen worden, wenn der Termin für die Schwarzkunstwoche des Außergewöhnlichen Lehrlings festgelegt wurde. Der genaue Zeitpunkt, wann der Lehrling sich allein in das Dunkelreich begeben sollte, war wichtig, und Alchimisten waren dafür bekannt, dass sie eine viel engere Beziehung zu den Dunkelkräften hatten – ganz abgesehen davon, dass sie geradezu davon besessen waren, für alles den günstigsten Zeitpunkt zu bestimmen.
Die Beratungen mit dem Burg-Alchimisten waren mit dem Niedergang der Alchimie in der Burg natürlich hinfällig geworden. Doch nun stand zum ersten Mal seit vielen Jahrhunderten mit Marcellus Pye wieder ein richtiger Alchimist zur Verfügung. Nach reiflicher Überlegung hatte Marcia beschlossen, ihn zu dem Gespräch hinzuzuziehen. Jetzt bereute sie diese Entscheidung. Ein Gefühl sagte ihr, dass er sich querstellen würde.
Marcellus Pye gab im Schein des Feuers eine eindrucksvolle Figur. Er trug einen langen pelzbesetzten Mantel aus schwarzem Samt,
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