Septimus Heap 06 - Darke
unterschiedlichsten Kämmen festgesteckt war.
Sie sah Sarah ungläubig an. »Ich bin die Buchbringerin «, wiederholte sie.
»Ich weiß. Das sagten Sie bereits. Ich finde das sehr nett von Ihnen. Jenna liest gern. Legen Sie es einfach auf den Tisch. Und jetzt entschuldigen Sie mich, ich habe zu tun. Sie kennen ja den Weg hinaus.« Sarah deutete auf die Tür, die noch weit offen stand.
»Den Weg hinaus?« Die Frau klang fassungslos. »Ich habe nicht die Absicht zu gehen. Ich bin hier, um der Prinzessin meine Aufwartung zu machen, gute Frau. Wenn ich Sie jetzt also bitten dürfte, mich bei ihr zu melden.«
Sarah schnaubte empört, doch just in diesem Augenblick tauchte Jenna aus dem Langgang auf und verhinderte jeden weiteren Austausch von Feindseligkeiten.
»Mom!«, rief sie. »Hast du zufällig gesehen, wo mein ... oh!« Sie blieb stehen und sah die große, gebieterische Frau in der uralten Palastuniform erstaunt an. Beim Anblick des roten und grauen Gewandes mit den goldenen Bändern beschlichen sie seltsame Empfindungen. Sie fühlte sich zurückversetzt in jene schrecklichen Tage, die sie zu Lebzeiten der grässlichen Königin Etheldredda im Palast zugebracht hatte. »Wer ... wer sind Sie?«, stammelte sie.
Die Buchbringerin machte einen tiefen Knicks, und ihre langen, zarten Bänder fielen elegant auf den schmutzigen Fußboden.
»Euer Gnaden«, säuselte sie, »darf ich Ihnen meine bescheidenen Glückwünsche zu Ihrem Anerkennungstag ausdrücken. Ich bin die Buchbringerin. Ich komme zu Ihnen, wie ich zu Ihrer Mutter gekommen bin und wie zuvor meine Mutter zu der Mutter Ihrer Mutter gekommen ist und wie zuvor die Mutter meiner Mutter zu der Mutter der Mutter Ihrer Mutter gekommen ist. Kurzum, ich bin gekommen, um Ihnen das Buch zu bringen.«
Sarah hielt es für nötig zu übersetzen: »Sie hat dir ein Buch gebracht, Jenna. Ist das nicht nett? Ich habe ihr schon gesagt, dass sie es auf den Tisch legen soll, da wir die Geschenke erst heute Abend aufmachen.«
Die Buchbringerin funkelte Sarah an. »Gute Frau, ich ersuche Sie dringend, den Mund zu halten. Sie dürfen an Ihre Arbeit zurückkehren, worin die auch immer bestehen mag.«
»Jetzt hören Sie mir mal zu ...«, begann Sarah, wurde aber sogleich von Jenna unterbrochen, der langsam dämmerte, dass es hier um etwas Bedeutungsvolles ging.
»Mom«, sagte sie, »ist schon in Ordnung. Ich glaube, das hier ist ... na, du weißt schon, Prinzessinnenkram.« Sie wandte sich an die Besucherin und sagte mit ihrer schönsten Prinzessinnenstimme: »Haben Sie vielen Dank, Buchbringerin. Darf ich Ihnen meine Mutter vorstellen, Madam Sarah Heap?«
Die Buchbringerin bedachte Sarah mit einem kurzen, flüchtigen Knicks. »Bitte um Vergebung, Madam Heap. Wegen Ihres Kleides habe ich Sie für ein Mitglied der Dienerschaft gehalten.«
»Hier fällt eine Menge Arbeit an, und irgendjemand muss sie ja tun«, gab Sarah barsch zurück. »Sie können sich mit Jenna in meinem Salon unterhalten, wenn Sie es warm haben wollen. Ich habe vorhin den Kamin angefeuert.« Damit entfernte sie sich hoch erhobenen Hauptes, und vereinzelte Strähnen ihres strohblonden Haars hüpften empört auf und ab, als sie auf der Suche nach Silas Heap mit großen Schritten im Langgang verschwand.
Die Buchbringerin sah ihr missbilligend nach und behielt diesen Ausdruck im Gesicht, als sie sich Jenna mit den Worten zuwandte: »Ein Salon ist kein würdiger Rahmen für dieses wichtige Ereignis. Es ist Brauch, dass die Übergabe im Thronsaal stattfindet. Hätten Sie die Güte, vorauszugehen?«
Jenna hatte den Thronsaal das letzte Mal vor fünfhundert Jahren betreten, zu Zeiten Königin Etheldreddas. Sie hatte keine guten Erinnerungen daran. Davor – oder vielmehr, streng zeitlich gesprochen, danach – war sie nur ein einziges Mal im Thronsaal gewesen, und daran hatte sie glücklicherweise gar keine Erinnerung. Das war auf den Tag genau vor vierzehn Jahren gewesen, an jenem Tag, als ihre leibliche Mutter, Königin Cerys, erschossen wurde. Die Vorstellung, in den Thronsaal zu gehen, noch dazu ausgerechnet heute, entsetzte sie.
»Der Thronsaal ist abgeschlossen«, sagte sie kühl. »Ich benutze ihn nicht.«
Zum ersten Mal betrachtete die Buchbringerin auch Jenna mit einem gewissen Missfallen. »Selbstverständlich benutzen Sie ihn nicht, Prinzessin. So soll es auch sein. Bislang bestand dazu ja keine Veranlassung. Heute jedoch, an Ihrem vierzehnten Geburtstag, werden Sie Ihre erste offizielle Amtshandlung
Weitere Kostenlose Bücher