Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
gerade noch beherrschen. Sie bot mir eine Ausrede an, jetzt musste ich nur noch herausfinden, welche.
Wie durch ein Wunder brachte ich es fertig, still zu sein. Die Tränen, die über meine Wangen rollten, konnte sie ja nicht hören. Ich holte tief Luft, dann sagte ich zittrig: »Wieso ein Gelübde?«
»Dieser silberne Gürtel – trägst du ihn, weil du ein Gelübde abgelegt hast?«
Ich dankte allen Heiligen und ihren Hunden. Glisselda hatte offenbar ihren eigenen Augen nicht getraut. Man konnte ja auch nicht ernsthaft annehmen, dass Drachenschuppen aus einem Menschenleib wuchsen, nein, ganz gewiss gab es eine andere Erklärung dafür.
Ich räusperte mich, damit man nicht hörte, dass ich geweint hatte, und sagte so beiläufig wie möglich: »Ach das, ja. Ein Gelübde, das ich für eine Heilige abgelegt habe.«
»Und für welche?«
Welche Heilige … welche Heilige … Mir fiel keine einzige Heilige ein.
Zum Glück kam mir Millie zu Hilfe. »Meine Tante hat ein eisernes Fußband zu Ehren von Sankt Vitt getragen. Und es hat funktioniert: sie ist von allen Zweifeln verschont geblieben.«
Ich kniff die Augen zu. Wenn ich nichts sah, was mich ablenkte, war es einfacher, einen klaren Gedanken zu fassen. Ich beschloss, ein Körnchen Wahrheit hinzuzufügen. »Am Tag, an dem ich gesegnet wurde, war die Heilige Yirtrudis meine Patronin.«
»Die Häretikerin?« Die zwei Mädchen hielten bestürzt den Atem an. Keine von beiden schien zu wissen, worin Sankt Yirtrudis’ Irrlehre eigentlich bestand, aber das kümmerte sie nicht weiter. Allein die Vorstellung, dass sie eine Häretikerin war, reichte schon.
»Der Priester meinte, der Himmel habe Sankt Capiti als meine Patin vorgesehen«, fuhr ich fort. »Seit diesem Tag trage ich einen silbernen Gürtel, um, ähm, keiner Irrlehre zu verfallen.«
Sie waren davon hinreichend beeindruckt, um von mir abzulassen. Nur das scharlachrote Kleid, das aus ihrem Streit als Sieger hervorgegangen war, nötigten sie mir noch auf. Sie frisierten meine Haare und riefen ein ums andere Mal, wie hübsch ich doch wäre, wenn ich mir nur ein bisschen Mühe gäbe. »Behalte das Kleid«, bat Millie. »Ziehe es am Abend der Friedensfeiern an.«
»Du bist die Großmut in Person, liebste Millie!«, sagte Glisselda und kniff Millie stolz ins Ohr, als wäre sie ihre eigene Erfindung.
Es klopfte an der Tür. Dame Okra trat ein und stellte sich auf die Zehenspitzen, damit sie Millie über die Schulter schauen konnte. »Ist sie wieder zusammengeflickt? Ich habe gerade jemanden getroffen, der sie unverzüglich in Sicherheit bringen kann – danach muss ich ein Wort mit Euch sprechen, Infanta.«
Millie und die Prinzessin halfen mir aufzustehen. »Es tut mir so leid«, flüsterte mir Glisselda mitleidig ins Ohr. Ich schaute sie an. Die drei Gläser Schnaps, die ich getrunken hatte, ließen zwar alles leicht verschwommen erscheinen, aber das Glitzern in ihren Augenwinkeln war keine Täuschung.
Dame Okra schob mich zur Tür hinaus, wo mein Vater auf mich wartete.
Sechsundzwanzig
N icht einmal der kalte Wind, auf dem offenen Schlitten, ließ mich wieder nüchtern werden. Mein Vater lenkte und ich saß neben ihm, sodass wir uns die Decke über dem Schoß und die Fußstütze teilen konnten. Mein Kopf wackelte hin und her, weshalb Vater es zuließ, dass ich mich an seine Schulter lehnte. Wenn ich jetzt weinte, würden die Tränen auf meiner Wange gefrieren.
»Es tut mir leid, Papa. Ich wollte auf mich selbst aufpassen, ich wollte nicht, dass es so danebengeht«, murmelte ich in seinen dunklen, wollenen Umhang. Er antwortete nichts, was mich unbegreiflicherweise ermutigte. Ich deutete schwungvoll auf die nächtliche Stadt, der passenden Kulisse für mein tragisches Schicksal, wie mir mein betrunkener Verstand vorgaukelte. »Sie schicken Orma weg, und das ist meine Schuld, und ich spielte so wundervoll Flöte, dass ich mich in alle verliebt habe und nun alles will. Und ich kann es doch nicht bekommen. Und ich schäme mich so, dass ich weggelaufen bin.«
»Du bist nicht weggelaufen«, widersprach Papa. Er nahm die Zügel in die eine behandschuhte Hand und tätschelte mir zögernd mit der anderen das Knie.
»Du wirst mich nicht für immer und ewig einsperren?«, fragte ich und heulte fast. Ein Teil meines Gehirns schien nüchtern zu sein und alles zu beobachten, was ich tat, es tadelte mich herablassend, sagte mir, dass ich mich schämen sollte, aber es unternahm nichts, um mir Einhalt zu gebieten.
Papa
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