Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
paar Minuten gestatten würdest …«
»Ich werde dich keine Sekunde aus den Augen lassen«, sagte Basind und ließ die Augen hervorquellen, wie um seine Entschlossenheit zu bekräftigen.
Orma zuckte die Schultern und seufzte ergeben. »Wenn du es mit ansehen kannst, wie Menschen heulen, dann hast du einen stärkeren Magen als die meisten von uns.«
Mein Onkel sah mich kurz von der Seite an, und diesmal verstanden wir uns auf Anhieb. Ich fing an jämmerlich zu weinen, ich wimmerte wie eine Todesfee, heulte wie ein Sturm im Gebirge, plärrte wie ein Kleinkind mit Bauchschmerzen. Ich nahm an, dass Basind stur bleiben würde – mir kam es ziemlich albern vor, ihn auf diese Weise verjagen zu wollen –, aber er wich angewidert zurück und sagte: »Ich werde draußen Wache halten.«
»Ganz wie du willst.« Mein Onkel wartete, bis Basind weg war, dann beugte er sich zu mir und flüsterte: »Heul weiter, so lange du kannst.«
Ich sah ihn traurig an, denn mein Kummer war nicht gespielt; sagen konnte ich jedoch nichts, weil ich meinen Atem brauchte, um zu schluchzen. Ohne sich noch einmal umzublicken, ging Orma hinter den Altar und verschwand. Wie so oft war auch unter diesem Altar eine Krypta, und vermutlich befand sich dort ein Zugang zu dem Labyrinth unterirdischer Tunnel.
Ich weinte – und diesmal waren die Tränen echt –, bis selbst Sankt Clare nicht mehr länger zusehen konnte. Ich hämmerte mit der Faust auf den Saum ihrer Robe, bis ich heiser war und husten musste. Basind kam, schaute sich um und blieb überrascht stehen.
Er durfte unter keinen Umständen herausfinden, wohin Orma verschwunden war. Ich spähte an Basind vorbei und tat so, als sähe ich das Gesicht meines Onkels durch eines der Fenster, die der düsteren Gasse zugewandt waren. »Orma«, schrie ich. »Lauf!«
Basind wirbelte herum, verblüfft, dass Orma in die Gasse gelaufen war, ohne dass er es gemerkt hatte. Ich rannte zu ihm und schubste ihn so heftig in einen Stapel Brennholz, dass die Scheite mit lautem Gepolter herunterfielen. Dann rannte ich weiter, so schnell ich konnte. Aber Basind rappelte sich rascher wieder auf als gedacht, und kurz darauf hörte ich hinter mir seine watschelnden Schritte und das warnende Bimmeln seines Silberglöckchens.
Ich war kein schneller Läufer, bei jedem Schritt hatte ich das Gefühl, ein Nagel würde mir ins Knie getrieben. Der Saum meines vom schmutzigen Schnee durchnässten Kleides klebte so zäh an meinen Knöcheln, dass ich fast ins Stolpern kam. Ich schlug einen Haken nach rechts und rannte nach links, schlitterte über das blutige Eis hinter einen Metzgerladen und kletterte dann eine Leiter hoch in einen Schuppen, zog sie hinauf und stieg mit ihrer Hilfe auf der anderen Seite wieder herunter. Ich kam mir schlau vor – bis ich Basinds Hände sah, der sich bereits zur anderen Dachseite hochgehangelt hatte.
Ich stieß mich ab und scheuchte bei der unsanften Landung die Hühner in dem kleinen Garten auf. Ich rannte durchs Gartentor, lief nach Norden, dann in eine Gasse und wieder nach Norden, in Richtung der belebten Straße am Fluss. Die vielen Menschen würden Basind sicherlich in die Quere kommen, ihn nicht nur bremsen, sondern wirklich aufhalten. Kein Goreddi würde untätig zusehen, wie ein Saarantras eine der ihren jagte.
Basinds Atem rasselte jetzt ganz dicht hinter mir, seine Hand berührte bereits die Tasche, die über meinem Rücken baumelte, er bekam sie jedoch nicht richtig zu fassen. Wir kamen aus der dunklen Gasse hinaus ins helle Tageslicht geschossen. Die Menschen vor mir stoben auseinander und schrien überrascht auf. Ich brauchte einen Moment, bis sich meine Augen an die Helligkeit gewöhnt hatten, aber was ich dann sah, ließ mich erschrocken innehalten. Ich hörte, wie Basind beinahe im selben Moment stehen blieb, gebannt vom selben Anblick wie ich.
Wir waren mitten in eine Gruppe von Männern mit schwarzen Federhüten geraten. Sankt Ogdos Söhne.
Siebenundzwanzig
I ch tat das Erstbeste, das mir einfiel. Ich zeigte auf Basind und schrie: »Er will mir wehtun!«
Vielleicht wollte er das ja sogar. Zumindest blickte er schuldbewusst drein, weil er mich so durch die Gassen jagte. Ich wusste im tiefsten Herzen, dass ich einen Drachen verleumdete, um einen anderen zu retten. Aber ich hätte es trotzdem nicht sagen dürfen, am allerwenigsten zu den Söhnen Sankt Ogdos, die auch ohne einen guten Grund schnell bereit waren, einem Saar etwas anzutun.
Sie pöbelten Basind an und
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