Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
Wenigstens das musst du tun.« Mit seiner bandagierten Hand fasste er mich am rechten Arm, mit der anderen stützte er sich auf seinen Stock.
Er führte mich zu dem blauen Polstersofa, auf dem Prinzessin Glisselda saß. Vor dieser Hintergrundfarbe strahlte sie wie ein Stern und die Höflinge umkreisten sie wie Planeten. Wir warteten, bis die Reihe an uns war, dann zog mich Viridius nach vorne. »Infanta«, sagte er und verbeugte sich. »Dieses bezaubernde junge Fräulein hat zwar viel zu tun – in meinem Auftrag –, aber ich habe sie mit allem Nachdruck darauf hingewiesen, welch unentschuldbar schlechtes Benehmen es wäre zu gehen, ohne Euch die Aufwartung gemacht zu haben.«
Glisselda strahlte mich an. »Du bist gekommen! Millie und ich haben gewettet, ob du es jemals tun würdest. Jetzt schulde ich ihr einen freien Tag, aber ich freue mich darüber. Hast du schon Cousin Lucian begrüßt?«
Ich wollte ihr gerade versichern, dass ich ihn schon begrüßt hätte, da rief sie bereits den Prinzen zu sich. »Lucian! Du hast dich gefragt, woher ich plötzlich so interessante Einblicke in die Welt der Drachen gewonnen habe – nun, da ist sie, meine Beraterin in Drachenangelegenheiten!«
Der Prinz wirkte angespannt. Zuerst fürchtete ich, dass er beleidigt sein könnte und ich, ohne es zu wollen, unhöflich gewesen war, aber dann sah ich, wie er zu Eskar und ihrem kleinen Grüppchen hinüberblickte, die einsam in einer Ecke standen. Vielleicht war ihm nicht wohl dabei, wenn die Prinzessin so laut und in Hörweite echter Drachen, die sie vorgab, nicht zu sehen, über Drachenangelegenheiten sprach.
Prinzessin Glisselda schien sich über das betretene Schweigen zu wundern, so wie man sich über einen Geruch wundert, den man noch nie zuvor wahrgenommen hat. Ich sah Prinz Lucian an, aber er schaute wie gebannt in die andere Richtung. Sollte ich laut aussprechen, was er nicht zu sagen wagte?
Es war vor allem Angst, die alle Thomas Broadwicks dieser Welt hervorbrachte: die Angst, frei zu sprechen, die Angst vor den Drachen selbst. Letzteres traf auf mich nicht zu und mein Gewissen musste die Oberhand über Ersteres behalten.
Ich musste um Ormas willen sprechen.
Deshalb sagte ich: »Verzeiht mir meine Kühnheit, Hoheit.« Ich warf einen bedeutungsvollen Blick auf die Saarantrai. »Es würde Eurem freundlichen Wesen entsprechen, diese Saarantrai einzuladen, neben Euch Platz zu nehmen, vielleicht sogar eine Runde mit einem von ihnen zu tanzen.«
Glisselda erstarrte. Sich in Gedanken mit Drachen zu beschäftigen war das eine, aber mit ihnen in der Wirklichkeit zu verkehren, war etwas völlig anderes. Sie warf ihrem Cousin einen ängstlichen Blick zu.
»Sie hat recht, Glisselda«, sagte er. »Der Hof wird unserem Beispiel folgen.«
»Ich weiß«, zierte sich die Prinzessin. »Aber was soll ich … wie soll ich denn … ich kann doch nicht einfach …«
»Du musst«, antwortete Prinz Lucian Kiggs entschieden. »In acht Tagen kommt Ardmagar Comonot, und was dann? Wir können doch Großmutter nicht beschämen.« Er zupfte die Ärmel an seinem Wams zurecht. »Ich werde zuerst gehen, wenn es dir dann leichter fällt.«
»Oh, ja, danke, Lucian, natürlich fällt es mir dann leichter«, sprudelte es erleichtert aus ihr heraus. »Er ist in diesen Dingen so viel gewandter als ich, Fina. Deshalb ist es auch gut, dass ich ihn heirate; er ist so praktisch veranlagt und hat so viel Menschenkenntnis. Schließlich ist er ja auch ein Bastard.«
Zuerst war ich entsetzt, dass sie ihren eigenen Verlobten so beiläufig einen Bastard nannte und es ihm scheinbar gar nichts ausmachte. Aber dann sah ich seine Augen. Es traf ihn sehr wohl, aber vielleicht dachte er, es stünde ihm nicht zu, etwas zu sagen. Ich wusste, wie sich das anfühlte, und erlaubte mir selbst eine Spur von Gefühl für ihn: Sympathie. Ja. Sympathie war es, was ich fühlte.
Er wahrte seine Würde, was schon bemerkenswert genug war. Aber als Soldat wusste er, wie man sich zu betragen hat. Er bewegte sich auf Eskar zu, wie man sich einem flammenspeienden, zischenden Untier aus der Hölle nähert: mit wachsamer Ruhe und unerschütterlichem Selbstvertrauen. Im ganzen Saal verstummte die Unterhaltung, als sich alle Augen überrascht dem Prinzen zuwandten. Ich ertappte mich dabei, wie ich den Atem anhielt, und ich war gewiss nicht die Einzige.
Er verbeugte sich elegant. »Madame Staatssekretärin«, sagte er, dass man es in der plötzlichen Stille im ganzen Salon hörte.
Weitere Kostenlose Bücher