Serafina – Das Königreich der Drachen: Band 1 (German Edition)
Beine hinein in den Palast.
Zwölf
A n diesem Abend tröstete ich mich mit der Normalität und Routine in meinem Garten. Ich trieb mich lange am Rande der Schlucht herum, wo der Laute Lauser wohnte, und sah ihm zu, wie er ein Zelt aus Lampenputzgras und Pandowdys abgeworfener Haut errichtete. Wie Madame Pingelig hatte auch der Laute Lauser viel schärfere Konturen, jetzt, da ich ihn in der wirklichen Welt gesehen hatte. Seine Finger waren lang und geschickt, seine hängenden Schultern sprachen von Traurigkeit.
Flederchen war immer noch die einzige Groteske, die meinen Blick erwiderte. Obwohl ich ihn gebeten hatte, in seinem Hain auszuharren, kam er, setzte sich neben mich an den Rand der Schlucht und ließ seine dünnen braunen Beine baumeln. Und diesmal machte es mir nichts aus. Ich war versucht, seine Hand zu berühren, doch allein der Gedanke daran war überwältigend. Es gab ohnehin schon genug, was mir Sorgen machte. Nein, ich konnte warten.
»Ich bin sicher«, sagte ich, als hätten wir uns unterhalten, »irgendwann wirst du mir so oder so über den Weg laufen.«
Er sagte nichts, aber seine Augen funkelten.
Am nächsten Morgen trödelte ich, während ich meine Schuppen wusch und ölte. Ich fürchtete mich vor der Musikstunde bei Prinzessin Glisselda, denn Kiggs hatte ihr garantiert von meinem Affront erzählt. Als ich schließlich doch in ihre Gemächer im Südflügel des Schlosses ging, war sie nicht da. Ich setzte mich ans Cembalo und spielte, um Trost zu finden. Die Klangfarbe dieses Instruments erinnerte mich immer an ein warmes Bad.
Aber heute war es kalt.
Ein Bote überbrachte ohne weitere Erklärung eine Nachricht der Prinzessin, dass die Stunde leider entfallen müsse. Ich starrte auf das Schreiben, als könnte ich an ihrer Handschrift ablesen, in welcher Stimmung sie sich gerade befand, dabei wusste ich ja nicht einmal, ob sie die Nachricht selbst geschrieben hatte.
Wollte sie mich dafür bestrafen, dass ich ihren Cousin beleidigt hatte? Möglich war es und Strafe hatte ich natürlich auch verdient. Den Rest des Tages bemühte ich mich, nicht darüber nachzudenken. Ich machte mich (schmollend) an meine Arbeit für Viridius, übte die Symphonia, eine Neukomposition, die sich an die beiden Nationalhymnen anlehnte, überwachte (mit düsteren Gedanken) den Aufbau der Bühne im Großen Saal und legte (in Selbstmitleid versinkend) die Auftrittsreihenfolge für die Willkommensfeier fest. Ich stürzte mich (grollend) in die Arbeit, um (in Trübsinn badend) das Gefühl zu ersticken, das mich erfasste, sobald ich aufhörte.
Es wurde Abend. Ich ging zum Nordturm, um dort zu Abend zu essen. Der kürzeste Weg von Viridius’ Wohnräumen dorthin führte an den Staatsgemächern vorbei: am Arbeitszimmer der Königin, dem Thronsaal, am Ratszimmer. Ich ging immer möglichst schnell daran vorüber, denn das waren Orte, wo sich mein Vater häufig aufhielt. Und als hätte er meine Gedanken gelesen, trat prompt Papa aus dem Ratszimmer. Er war ganz in ein Gespräch mit der Königin vertieft und beide kamen in meine Richtung.
Er sah mich – Papa und ich erspürten die Anwesenheit des anderen so sicher wie die Katze die Maus –, aber er tat so, als bemerkte er mich nicht. Ich wollte nicht in die peinliche Situation geraten, dass die Königin ihn eigens auf mich aufmerksam machen musste, weil sie glaubte, er hätte mich nicht bemerkt, deshalb huschte ich in einen kleinen Seitengang und harrte hinter einer Statue von Königin Belondweg aus. Eigentlich war ich gar nicht gut versteckt, trotzdem würde niemand, der nicht absichtlich nach mir suchte, mich entdecken. Weitere Würdenträger kamen aus dem Ratssaal, und auch Dame Okra Carmine, Lady Corongi und Lucian Kiggs gingen an dem Seitengang vorbei, ohne einen Blick hineinzuwerfen.
Eine fröhliche Stimme hinter mir fragte: »Wem spionierst du nach?«
Ich fuhr erschrocken zusammen. Prinzessin Glisselda strahlte mich an. »Es gibt eine Geheimtür, die aus dem Ratssaal führt. Ich wollte Lady Corongi, dieser vertrockneten Kartoffel, aus dem Weg gehen. Ist sie schon weg?«
Ich nickte, erstaunt, dass die Prinzessin so selbstverständlich freundlich wie immer war. Sie hüpfte fast vor Freude, ihre goldenen Locken tanzten um ihr Gesicht. »Es tut mir leid, dass ich heute nicht zum Unterricht kommen konnte, Fina, aber es gab entsetzlich viel zu tun. Wir haben gerade das interessanteste Ratstreffen aller Zeiten gehabt, und ich konnte einen sehr schlauen Eindruck machen, was
Weitere Kostenlose Bücher