Serafina - Das Königreich der Drachen - Wie alles begann ... (German Edition)
wirkte so traurig und getroffen, als hätte er seinen eigenen Vater verloren.
Sie brauchten den Frieden des Himmels. Ich wusste wenig von den Heiligen, aber ich kannte mich mit Kummer aus und mit Musik, die der beste Balsam ist. Das war der Trost, den ich ihnen spenden konnte. Ich setzte die Flöte an die Lippen, richtete den Blick auf die verzierten Deckengewölbe und begann zu spielen.
Ich setzte leise an, da mir die Melodie nicht vertraut war, aber die Töne schienen mir zuzufliegen und mein Selbstvertrauen wuchs. Die Musik schwang sich auf wie eine Taube, die man in die Weite des Kirchenschiffs entlässt, die Mauern der Kathedrale verliehen ihr Fülle und gaben sie zurück, als ob dieses herrliche Gebäude ebenfalls ein Instrument wäre.
Es gibt Melodien, die so unmittelbar zu einem sprechen wie Worte und aus einer einzigen reinen Empfindung heraus entspringen. Eine solche Melodie ist auch die Anrufung. Ihr Komponist hatte damit die reine Essenz der Trauer einfangen wollen; es war, als riefe er uns zu: Das bedeutet es, jemanden zu verlieren.
Ich spielte die Anrufung zweimal und zögerte die letzte Note hinaus, weil ich fühlte, dass das Ende der Melodie ein weiterer fühlbarer Verlust sein würde. Schließlich spielte ich den Schlusston, lauschte auf das verklingende Echo und sank erschöpft in mich zusammen. Der Würde des Augenblicks entsprechend klatschte niemand, allein die Stille war geradezu ohrenbetäubend. Mein Blick schweifte über die Gesichter, über den versammelten Adel und die anderen erlesenen Gäste bis hin zum gemeinen Volk, das sich hinter den Absperrungen drängte. Alle verharrten reglos, alle bis auf die Drachen, die unruhig auf ihren Sitzen hin und her rutschten, und Orma, der an einem Geländer lehnte und mir linkisch mit seinem Hut zuwinkte.
Zu erschöpft, um über diese Ungehörigkeit nachzudenken, verbeugte ich mich und zog mich hinter die Trennwand des Chorraums zurück.
Ich war die Gehilfin des Hofkomponisten; man hatte mich siebenundzwanzig anderen Bewerbern für dieses Amt vorgezogen, darunter wandernde Troubadoure wie auch berühmte Meister ihres Fachs. Es war eine Überraschung gewesen. Niemand am Konservatorium hatte mir, Ormas Schützling, Beachtung geschenkt. Orma war ein mittelmäßiger Lehrer der Musiktheorie, nicht einmal ein richtiger Musiker. Er spielte gut Cembalo – aber wenn man nur die richtigen Tasten anschlug, dann spielte sich das Instrument ja wie von selbst. Ihm fehlten sowohl Leidenschaft als auch Musikalität. Niemand hatte damit gerechnet, dass ausgerechnet einer seiner Studenten es jemals zu etwas Besonderem bringen würde.
Dass mich niemand kannte, war kein Wunder. Papa hatte mir näheren Umgang mit den anderen Studenten wie auch den Lehrern verboten. Zwar verstand ich seine Gründe, doch das änderte nichts an meiner Einsamkeit. Er hatte mir nicht ausdrücklich untersagt, mich für ein Amt zu bewerben, aber ich wusste ganz genau, dass es ihm missfallen würde. So machten wir es immer: Er steckte mir enge Grenzen und ich hielt mich an sie, bis ich es nicht länger aushielt. Und immer war es die Musik, die mich dazu brachte, etwas zu tun, was er als gefährlich ansah. Aber mit der Wucht seiner Wut, als er erfuhr, dass ich von zu Hause weggehen wollte, hatte selbst ich nicht gerechnet. Ich wusste, dass sein Zorn nur seiner Sorge um mich entsprang, aber deswegen war er nicht leichter zu ertragen.
Jetzt arbeitete ich für Viridius, den Hofkomponisten, der bei schlechter Gesundheit war und einen Gehilfen brauchte. Der vierzigste Jahrestag des Vertrags, der zwischen Goredd und den Drachen geschlossen worden war, kam rasend schnell näher, und Ardmagar Comonot höchstpersönlich, der berühmte Drachengeneral, würde in zehn Tagen zu den Feierlichkeiten erscheinen. Viridius war für die Konzerte, Bälle und die anderen musikalischen Vergnügungen verantwortlich. Ich hatte ihn bei der Auswahl der Musikanten und der Organisation des Programms zu unterstützen. Daneben musste ich Prinzessin Glisselda Cembalo-Unterricht erteilen, weil dies für Viridius zu nervenaufreibend war.
Das alles hatte mich in den ersten beiden Wochen vollauf beschäftigt und das unerwartete Begräbnis hatte mir zusätzliche Arbeit aufgebürdet. Die Gicht hatte Viridius ans Bett gefesselt, weshalb ich für die gesamte musikalische Gestaltung allein verantwortlich war.
Der Leichnam von Prinz Rufus wurde in die Krypta gebracht, geleitet nur von der königlichen Familie, den Priestern und
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