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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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gerade nicht herschaute. Dann verließ sie ohne jede Hast den Laden. Thomas starrte ihr mit offenem Mund nach.
    Das Brot war noch warm – sie spürte es auf der Haut. Serafina ging auf die Docks zu, denn die hatten sich nicht verändert. Sie hörte Schritte hinter sich, drehte sich jedoch nicht um. Ein paar Meter weiter setzte sie sich auf ein Faß und blickte Thomas entgegen, der mit empörtem Gesicht auf sie zukam.
    »Warum hast du das getan?« fragte er aufgebracht.
    Zuerst wußte sie gar nicht, was er meinte. Die Worte des Bäckers tanzten im Rhythmus der Musik vom Festplatz durch ihren Kopf. Ihr war wirklich nicht nach einer Diskussion zumute.
    »Das!« Er deutete auf das Brot, das sich unter ihrer Bluse abzeichnete.
    Sie begriff nicht, weshalb er sich so aufregte: Sie hatte das Brot gestohlen, weil sich die Gelegenheit bot, das war alles. »Für den Fall, daß wir hungrig werden«, antwortete sie. Wenn er doch still wäre!
    Aber er war nicht still. »Wir haben erst vor einer halben Stunde gegessen! Und wenn wir hungrig werden, haben wir genug Gold, um uns etwas zu essen zu kaufen! Warum riskierst du wegen eines Brotes, das wir nicht einmal brauchen, daß man dich ins Gefängnis wirft?«
    »Er hat es ja nicht bemerkt«, erwiderte sie verächtlich, zog den Laib aus ihrem Hemd und warf ihn ins Hafenbecken. Zornig zischend drehte Thomas sich auf dem Absatz um und stapfte davon, wobei er sich mit den Fingern durch die dunklen Locken fuhr.
    Serafina betrachtete den Brotlaib, der auf dem Wasser auf und ab wippte. Der Bäcker hatte sie nicht erkannt – und auch seine Tochter, ihre Spielkameradin aus Kindertagen, nicht. Als Serafina ihn nach dem protzigen goldenen Haus fragte, sagte er: »Er hat verdammt mehr erwirtschaftet als der Narr Franco.«
    »Der Narr« war ihr Vater – »er« war Angelo.
    »Serafina!«
    Sie schaute auf, als sie ihren Namen hörte, nahm den Engländer jedoch gar nicht richtig wahr. Der Bäcker hatte noch andere Dinge gesagt, aber über die wollte sie jetzt noch nicht nachdenken. Sie merkte, wie ihr etwas in die Hände geschoben wurde. Erst als sie den Aquavit auf der Zunge spürte, wurde ihr bewußt, daß sie am ganzen Leibe zitterte, als sei es tiefster Winter.
    »Erzähl's mir«, forderte Thomas sie auf.
    Sie starrte ihn geistesabwesend an – doch dann zwang sie sich, ihm zuzuhören: Es war ihm immerhin hoch anzurechnen, daß er zurückgekommen war. Er mußte ernsthaft ungehalten darüber sein, daß er sie noch immer nicht hatte abliefern und sich damit seiner lästigen Pflicht entledigen können.
    »Dein Vater ist tot – soviel weiß ich. Was ist mit deiner Mutter, Schwestern, Großeltern?«
    Sie hatte ihm nicht erklärt, was sie meinte, als sie von ihrer »Familie« sprach, »Familie« bedeutete Franco und Marthe und Jehan und Monsieur Jacques und die Stoffballen, die unter dem Guardi-Banner von Neapel nach Lyon transportiert wurden, doch jetzt schien er eine Antwort zu erwarten.
    »Meine Mutter starb, als ich noch ganz klein war.« Verwundert stellte sie fest, daß ihr das Sprechen schwerfiel. »Ich hatte eine Amme – Marthe. Und einen Kusin, Angelo, der meinem Vater im Geschäft half. Und dann gab es noch den Notar Jehan de Coniques und den Disponenten Monsieur Jacques. Keine Brüder, wie ich Ihnen schon sagte, und auch keine Schwestern.« Sie vermied es, ihn anzusehen, schaute statt dessen den Möwen zu, die sich an dem Brot gütlich taten, das sie weggeworfen hatte.
    »Der Notar, der Disponent  …« Die Stimme des Engländers klang überraschend freundlich. Er kniete sich vor Serafina auf das Kopfsteinpflaster und blickte ihr ins Gesicht. »Wo sind sie?«
    Sie starrte aufs Wasser. »Der Bäcker sagte, daß die Dinge sich schlimm entwickelt haben, daß die Kaufleute mit Haß verfolgt werden.«
    Thomas' Blick wanderte zu dem Platz zurück, zu dem glitzernden goldenen Haus. Serafina hatte die Hände auf die schmutzigen Knie gestützt und schaute auf ihre ebenfalls schmutzigen Finger hinunter. Thomas hatte sie in die Enge getrieben – wenn sie ihm nicht eine zufriedenstellende Antwort gäbe, war damit zu rechnen, daß er sie die Stufen zu ihrem ehemaligen Vaterhaus hinaufzerren und zu einer Konfrontation zwingen würde, für die sie keine Zeugen haben wollte. Also erklärte sie Thomas Marlowe in wenigen Worten, daß sie von dem Bäcker erfahren habe, ihre Familie sei genötigt gewesen, das Geschäft zu verkaufen – der Guardi-Tuchhandel existiere nicht mehr.
    William Williams,

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