Serafinas später Sieg
Gewinn aus eurem Tod ziehen könnte.«
Sie setzte sich auf die unterste Stufe und lehnte die heiße Stirn gegen das kühle Eisengeländer. Warum war sie hergekommen? Die maskierten Gesichter der ausgelassenen Menge auf dem Platz schienen einem Alptraum entsprungen zu sein. Serafina war den Lärm einer Stadt nicht mehr gewöhnt. Was wollte sie hier? Angelo stellen, ihm sagen: »Gib mir zurück, was du dir angeeignet hast – es gehört mir!« Erwartete sie, daß er antworten würde: »Nimm es – ich habe es all die Jahre nur für dich verwaltet!«
Sie war zu erschöpft, um sich ernsthaft Gedanken darüber zu machen. Es war ein langer Tag gewesen – einer von vielen auf ihrer anstrengenden Reise. Daß sie eingeschlafen war, merkte sie erst, als sie Stimmen hörte. Sie schlug die Augen auf. Zwei Männer standen auf der Straße. Einer war jung und attraktiv. Auf seinen schulterlangen Locken saß eine rote Kappe. Der andere war Angelo – der Angelo aus ihren Träumen! Das dunkelgoldene Haar quoll unter seinem Federhut hervor, über das weiße Seidenhemd hatte er sich lässig ein hellblaues kurzes Cape geworfen und trug ein filigranverziertes Rapier und ein Messer mit juwelenbesetztem Griff. Er sah genauso aus, wie sie ihn in Erinnerung gehabt hatte.
Serafina hörte den Fremden sagen: »Schau mal – da sitzt ein hübscher Junge. Erweitere deinen Horizont ein wenig, mein Lieber, mach eine neue Erfahrung.«
Nachdem er sie mit einem flüchtigen Blick gemustert hatte, der ihr endlos erschien, antwortete Angelo angewidert: »Bei allen Heiligen! Da würde ich ja noch lieber mit meiner Stute schlafen – die sieht bedeutend anziehender aus!«
Sein Gesicht fühlte sich an, als sei jemand mit Stiefeln darauf herumgetrampelt. Als er genügend Wasser über sich geschüttet hatte, um wieder aus den Augen schauen zu können, nahm er den Schiffszimmermann wahr. »Jesus … Will!« stammelte er. »Wie haben Sie es …«
»Offenbar auf einem anderen Weg als Sie, mein Freund.« Der Waliser grinste. »Ich dachte, Sie würden längst die paradiesischen Korallenbänke abgrasen – zusammen mit unserem tief betrauerten Kapitän.«
»Dem unfähigen Mr. Goodlay?« Thomas schüttelte den Kopf – und zuckte zusammen.
»Waren Sie in England?« fragte der Zimmerer.
»Nein. Und Sie, Will?«
»Nur kurz, es gab Probleme.«
Thomas erwartete eine nähere Erläuterung, doch William Williams war offenbar nicht geneigt, sich über die Art seiner Probleme auszulassen. »Und die anderen?« fragte er.
»Ein Dutzend hat überlebt«, berichtete der Schiffszimmermann. Sie schlenderten am Hafen entlang, und bald war das Gasthaus nur noch ein Lichtpunkt in der Ferne. »Es war schlimm, Mr. Marlowe. Die Marokkaner zwangen uns, das Wrack zu bergen, und dann warfen sie uns in Fez ins Gefängnis. Zwei von uns starben dort an der verdammten Ruhr, wir anderen wurden nach einer Weile freigelassen und machten uns auf die Heimreise.«
Thomas rieb sich nachdenklich das Kinn. William Williams war, erinnerte er sich, ein ausgezeichneter Schiffszimmermann. »Und was haben Sie jetzt vor, Will?«
»Marseille zu verlassen«, erwiderte William. »Ich habe gehört, Livorno soll ein nettes Städtchen sein.«
Thomas wünschte, er hätte nichts getrunken und sich nicht geprügelt, dann hätte er jetzt klarer denken können. Livorno war ein Freihafen, den der toskanische Herzog Ferdinand gegründet hatte. Es gab Docks dort – und Arbeitskräfte und Handelsmöglichkeiten. »Wann?« erkundigte er sich.
»Morgen – an Bord einer hübschen kleinen Kogge namens Louise .«
Thomas setzte gerade zum Sprechen an, als William Williams hinzufügte: »Ich bin sicher, es ist auch noch Platz für einen Steuermann.«
Ein verlockender Gedanke. Halt – da war ja noch dieses vermaledeite Mädchen, das er abliefern mußte! Er verabredete sich für den nächsten Morgen mit William und eilte zu dem Gasthaus zurück.
Serafina hatte sich gerade umgezogen, als der Steuermann an ihre Tür klopfte. Keine Anzeichen von Kummer oder Furcht, schärfte sie sich ein.
Sie machte ihm auf – und dann starrten sie einander mit offenen Mündern an: Sie, weil sein Gesicht aussah, als sei eine Armee darüber marschiert, und er, weil sie ein Kleid trug.
Serafina fand als erste die Sprache wieder. »Hatten Sie einen angenehmen Abend, Mr. Marlowe?« fragte sie.
»Einen interessanten«, erwiderte er und schaute sich im Zimmer um. »Du hast gepackt, wie ich sehe.«
Sie nickte und zwang sich zu
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