Serafinas später Sieg
ehemals Schiffszimmermann auf der glücklosen Toby , hatte wie sein Seekamerad, der Steuermann, höchst unerfreuliche Monate hinter sich. Er war Katholik, und obwohl er ein liebenswürdiges, friedliebendes Wesen besaß, beharrte er auf seinem Glauben und ließ sich weder durch Überredung noch durch Drohungen davon abbringen.
Bei seiner Rückkehr nach London stellte er fest, daß England kein sicherer Heimatboden mehr für ihn war. Jemand hatte geredet – ob aus Überzeugung oder um sich lieb Kind zu machen, konnte er nicht sagen. Jemand hatte seine unregelmäßigen Besuche in der protestantischen Kirche registriert, jemand hatte ihn in Gesellschaft eines dissentierenden Priesters gesehen … Jedenfalls hielt William Williams es für angeraten, vierzehn Tage nach seiner Heimkehr wieder anzuheuern.
Seine Reisen führten ihn schließlich auch nach Marseille. Hier durfte man Katholik sein. Die Stadt war zwar in die Tragödie des Bürgerkriegs einbezogen, doch entgegen dem oberflächlichen Anschein ging es in diesem Krieg mehr um die Zerstörung von Macht und Reichtum als um Religion. Doch auch Marseille war ein gefährliches Pflaster – allerdings in anderer Hinsicht als London. Man konnte ganz friedlich im Gasthaus sitzen und etwas trinken, ohne Angst haben zu müssen, vom Fleck weg verhaftet oder nachts aus dem Bett gezerrt zu werden. Hier bestand das Risiko darin, in die Auseinandersetzungen anderer hineingezogen zu werden oder plötzlich ein Messer zwischen den Rippen zu haben, weil einem Fremden dein Gesichtsausdruck oder der Schnitt deiner Kleider nicht gefiel. Aber mit William Williams legten sich nur wenige Männer an. Er war ein walisischer, einen Meter achtzig großer Mann mit von harter Arbeit gestählten Muskeln und einem Kopf auf den Schultern, der auch nach vier Krügen Ale noch nicht benebelt war. Er genoß Raufereien nicht, aber er ging ihnen auch nicht aus dem Weg. Er hatte es nicht nötig, seine inneren Spannungen durch eine Prügelei abzubauen, doch er war durchaus in der Lage, sich im Fall des Falles zu wehren. Heute abend würde es eine Schlägerei geben – darauf hätte er den Inhalt seiner Geldbörse verwettet –, aber er hatte keine Lust, sich daran zu beteiligen. Es würde eine Schlägerei geben, weil die Stimmung in Marseille nicht nur wegen der Hitze und des Volksfestes aufgeheizt war, die Stadt glich einem Pulverfaß. Der Krieg und der augenfällige Reichtum der Kaufleute boten eine willkommene Entschuldigung für Ausschreitungen jeglicher Art. Während seines nunmehr dreiwöchigen Aufenthalts in diesem Hexenkessel hatte William Williams miterlebt, wie ein Kaufmann von seinem Pferd gezerrt und von der aufgebrachten Menge erschlagen wurde, und gesehen, daß andere ihr Haus grundsätzlich nicht ohne bewaffnete Leibgarde verließen. Doch dieses Wirtshaus würde kein Kaufmann betreten. Gasthäuser wie dieses gab es in London, in Dieppe, in Livorno – Lokale, in denen ein Seemann sich sofort zu Hause fühlte und jeder andere sofort erkannte, daß er nicht hierhergehörte. Drei hübsche Mädchen bedienten die Gäste. An einem Ecktisch saßen Kartenspieler. William Williams vermutete, daß dort nicht alles mit rechten Dingen zuginge. Er kam sich fast vor wie zu Hause in England. Die Prügelei, sinnierte er, während er dem hübschesten der Serviermädchen zuwinkte, um sich seinen Becher wieder füllen zu lassen, würde bei den Kartenspielern beginnen. Das Französisch des Schiffszimmerers war mangelhaft, doch Tonfall und Gestik waren in allen Ländern der Welt vergleichbar. Die Runde der Kartenspieler war erst kurz vorher um einen fünften Mann erweitert worden. Dieser fünfte, der ein abgeschabtes, gefüttertes Wams und einen ramponierten schwarzen Filzhut trug, saß mit dem Rücken zu William Williams. Er erinnerte ihn an jemanden, aber er kam nicht darauf, an wen. Der Neuankömmling war auf jeden Fall kein Marseiller, und die Marseiller würden ihn reinlegen, wie sie das üblicherweise mit Fremden machten. Manchmal gab es eine kurze Auseinandersetzung, ein andermal akzeptierte der Betrogene klugerweise seine Verluste – und gelegentlich, vermutete William Williams, wurde spät nachts ein lebloser Körper ins kühle Wasser des Hafenbeckens geworfen.
Es mußte etwa zehn Uhr sein. Noch immer lärmten draußen die Feiernden, und das Wirtshaus war so voll, daß die Türen sich nicht mehr schließen ließen. William Williams hob seinen Becher zu einem freudigen Abschiedstoast auf Frankreich
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