Serafinas später Sieg
hatte –, doch er konnte keine Anzeichen von Vorwurf oder Abneigung in ihrem Gesicht erkennen. Allenfalls leicht spöttische Belustigung.
»Geschäfte – was sonst, Monsieur Marlowe?« beantwortete sie seine Frage in leichtem Ton. Sie ging am Rumpf der Kingfisher entlang. Thomas, der trotz seiner luftigen Kleidung schwitzte und ungeduldig die Fliegen verscheuchte, die seinen Kopf umschwirrten, betrachtete Serafinas sorgfältige Frisur und ihre makellose Erscheinung. Auch auf ihrem langen Ritt von Valencia nach Marseille hatte sie stets alles getan, um möglichst gepflegt auszusehen.
»Signor Capriani war krank und ist noch sehr schonungsbedürftig«, erklärte sie. »Deshalb hat er mich damit betraut, einige Einkäufe für ihn zu tätigen.« Sie schenkte ihm eines ihrer seltenen Lächeln. »Nicht Gold oder Gewürze, Monsieur Marlowe – Seide!«
Sie erreichten den Bug des Schiffes und blieben unter der Stelle stehen, an der später die Galionsfigur aus den Wellen ragen würde.
Serafina ließ einen schlanken Finger über das glatte Eichenholz gleiten und sagte: »Es dauert eine Weile, ein Schiff zu bauen, nicht wahr, Monsieur Marlowe? Wie lange liegt Ihre Ankunft in Livorno zurück?« Ihre Stimme war freundlich, die Frage verriet nicht mehr als höfliches Interesse.
Thomas' Miene verfinsterte sich. »Fast ein Jahr!« Er schlug mit der Faust gegen die massive Holzwand. »Es hätte viel schneller gehen sollen, aber ich hatte Ärger mit dem Materialnachschub, und außerdem konnte ich nicht so viele Männer bekommen, wie ich gebraucht hätte …«
Seine Stimme verlor sich in der brütenden Hitze. Mit wenigen Worten hatte er die Probleme zusammengefaßt, mit denen er sich seit Monaten herumschlug – Tag und Nacht, im Schlafen und im Wachen. In seinen schlimmsten Alpträumen malte er sich aus, daß die Kingfisher niemals fertigwerden würde – aus Geldmangel, wegen der Schwierigkeit, erstklassige Handwerker zu finden und zu halten, Bauholz erster Qualität aufzutreiben –, und das wäre schlimmer, als wenn er niemals mit ihrem Bau begonnen hätte!
Thomas atmete tief durch. »Die Deckplanken sind fast fertig. Wir werden sie bald kalfatern. Und ich habe auch schon ein bestimmtes englisches Eichenholz für die Masten im Auge.«
»Sie wird schön werden«, sagte Serafina sanft.
Ein zarter Patschuliduft wehte zu ihm herüber, als sie den Schleier wieder vor das Gesicht zog. Seide raschelte. Seine Nächte waren von Alpträumen durchzogen, wie sahen Serafinas seit ihrer Ankunft in der Toskana aus?
Sie sprach, bevor er die Frage formulieren konnte. Ihre Stimme drang gedämpft durch den Musselin, doch sie übertönte den Lärm, der auf dem Dock herrschte. »Ich wohne im Palazzo Sacchetti, Monsieur Marlowe. Möchten Sie heute abend mit mir dinieren? Es wäre denkbar, daß wir ins Geschäft kommen.«
Der Palazzo Sacchetti wurde seinem hochtrabenden Namen nicht gerecht. Klein und schon etwas baufällig kauerte das Haus in einer der Gassen des Straßengewirrs hinter den Docks. Thomas rückte die Feder auf seinem Hut zurecht, bevor er an die Haustür klopfte. Die Malereien auf der Fassade waren von der Sonne ausgebleicht, die Fensterläden dringend reparaturbedürftig.
Der Palazzo gehörte nicht Signor Capriani, wie Serafina später erklärte, als sie bei Hühnchen, Reis und leichtem Rotwein saßen – er habe nur das Nutzungsrecht, wann immer er in Livorno sei.
Thomas hatte den Mund voll und konnte nichts dazu sagen. Sie hatten über das Wetter gesprochen, über die polirische Lage in der Toskana, über Lebensmittel- und Landpreise. Nach dem dritten Glas Wein begann Thomas sich zum ersten mal seit vielen Monaten zu entspannen. Das volle Ausmaß seiner Anspannung war ihm nicht bewußt gewesen, bis er sich unerwartet diesen freien Abend gestattet hatte. Das Geschirr wurde abgeräumt und eine Schale mit Obst und Mandeln gebracht. Thomas nahm den vorher angeknüpften Gesprächsfaden wieder auf. »Ich wußte nicht, daß Signor Capriani Seidenhändler ist.«
Serafina runzelte ärgerlich die schöngeschwungenen Augenbrauen. »Kokarden! Epauletten! Antilopentränen!« sagte sie verächtlich. Auf Thomas' verständnislosen Blick fügte sie hinzu: »Ziegenstein, mein Lieber. Man findet ihn in den Mägen von Antilopen. Angeblich hilft er bei Schlangenbissen.«
Im Augenblick sieht sie aus, als würde sie dem unglücklichen Kaufmann am liebsten eine Riesenschlange um den Hals legen, dachte er amüsiert. »Für derlei gibt es
Weitere Kostenlose Bücher