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Serafinas später Sieg

Serafinas später Sieg

Titel: Serafinas später Sieg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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seidenverarbeitenden Werkstätten von Pisa, »werden Jahr für Jahr geringer. Man fragt sich allmählich, ob die ganze Mühe sich überhaupt noch lohnt.«
    Es war beinahe Mitternacht. Die Gäste hatten den Bankettsaal verlassen und sich wieder in den Empfangssaal begeben. In angrenzenden Räumen waren Tabletts mit phantasievollem Zuckerwerk und Schalen mit Sauerkirschen aufgestellt worden. Bedienstete fädelten sich zwischen den Leuten durch und nahmen leere Gläser zurück. Der Affe, der noch immer auf der Vorhangstange saß, fletschte bösartig die Zähne, sobald jemand in seine Nähe kam. Serafina, die neben ihrem sitzenden Ehemann stand, nahm ein Glas Wein von Signor Datini entgegen und lauschte aufmerksam dem Gespräch.
    »Mein lieber Marco …« Ein Franzose in taubenblauem Wams und venezianischer Pluderhose schüttelte den Kopf: »Man kann bei Seide ebenso Gewinne erzielen wie bei jeder anderen Ware. Manche werden reich damit.« In der Mitte des Saales tanzten Paare zu den Klängen von Spinett und Lautengitarre. Die Kleider der Damen und die kostbaren Stoffe, in die die Herren gekleidet waren, schimmerten im Kerzenschein. Serafina hatte bereits getanzt: mit Signor Datini, dem Franzosen Philippe Moireau und dem Hausverwalter der Merlis, Gianfranco. Mit ihrem Mann hatte sie nicht getanzt, denn der war mürrisch und müde und wollte nach Hause – und auch nicht mit dem Engländer Thomas Marlowe, den sie gleich bei seinem Eintreffen bemerkt hatte, denn der hatte sie nicht aufgefordert.
    »Ich mache die Franzosen für die Probleme im Seidenhandel verantwortlich«, erklärte Marco grimmig. »Diejenigen, die durch ihren idiotischen Krieg nicht alles verloren haben, sind in den letzten Jahren außerordentlich erfolgreich gewesen.«
    »In der Provence ja«, stimmte Philippe zu. Er hatte ein langes, hageres Gesicht und eine platte Nase wie ein Pferd. Auf seinem Kopf saß eine bauchige Samtkappe, die mit einer Gänsefeder geschmückt war, die ihm fast bis auf die Schulter hing. Die ehemals weiße Feder war jetzt von einem schmuddeligen Grau. »Im Moment zumindest. Ich werde lieber Schiffe mieten als meine Waren durch die Provence transportieren zu lassen.«
    Jacopo Capriani furzte, schloß die Augen und schlief ein. Drei Violaspieler und eine Gruppe Flötisten sammelten sich in der Mitte des Saales. Serafina öffnete ihren Fächer, als die Unterhaltung durch die Musik zum Erliegen kam. Sie hätte sich gerne hingesetzt, gerne frische Luft geatmet, sich gerne von dem starren Fischbeingerüst ihres Kleides befreit, das sie qualvoll einengte – und vor allem wäre sie gerne dem Geruch von Fisch, Rosenwasser und gewürztem Wein entkommen, der durch die offenstehenden Flügeltüren aus dem Bankettsaal herüberwehte. Doch sie gestattete sich nicht, wie viele der anderen Damen, in die Kühle der Halle im Parterre zu flüchten. Sie würde ihrem Magen nicht erlauben, sie zu zwingen, dieses faszinierende Gespräch über Seidenhandel, Schiffahrt und Politik zu verlassen.
    Jacopo begann laut zu schnarchen, was man besonders gut hörte, weil die Musiker gerade eine Pause machten. Serafina schloß ihren Fächer und fragte: »Was haben Sie gegen die Provence, Monsieur Moireau? Seit jeher ist Seide durch die Provence nach Norden gebracht worden – es geht durch Frankreich mit Sicherheit schneller und sicherer als um das Kap.«
    Philippe lächelte leicht. »Ich transportiere keine Seide mehr durch die Provence, weil die Provence von Korruption beherrscht wird.« Er runzelte die Stirn. »Sie sehen blaß aus, Madame Capriani, gestatten Sie, daß ich Sie zu einem Stuhl geleite.«
    Sie hatte sich auf die Lippen gebissen und mit Mennige geschminkt, bevor sie das Gasthaus verließen, doch als sie sich vorhin in einem der riesigen Flügelfenster des Palazzos sah, mußte sie feststellen, daß ihr Gesicht von einer geradezu geisterhaften Blässe war und sie so kraftlos wirkte wie eines der trockenen Blätter, mit denen der Herbstwind spielte. Aber sie war nicht bereit, sich wie eine alte Frau in eine Ecke zu setzen. Es hatte sie zu große Mühen gekostet hierherzukommen, zu große Kämpfe gegen Jacopos Eigensinn und Abneigung gegen gesellschaftliche Ereignisse, als daß sie jetzt zugelassen hätte, aus dieser interessanten Männergesellschaft ausgeschlossen zu werden. Sie ließ ihren Fächer flattern. »Es ist ein wenig heiß hier drinnen, Monsieur – und so laut. Können wir unser Gespräch auf einem der Balkone fortsetzen?« Von dem großen

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