Serafinas später Sieg
Saal gingen mehrere Balkone auf den tiefer gelegenen Garten hinaus. Der Seidenhändler bot Serafina den Arm. »Es wäre mir ein Vergnügen, Madame – aber Ihr Mann …«
Jacopos Mund stand offen, das Kinn war in den Halsfalten verschwunden. »Es sieht nicht so aus, als würde er mich in nächster Zeit vermissen.«
Draußen in der kühlen Nachtluft und weg von dem Lärm fühlte sie sich gleich besser. Serafina schaute auf den Brunnen hinunter, an dem Jacopo ihr seinen Antrag gemacht hatte. Die Wassertropfen fingen das Licht ein, das aus den Fenstern fiel. Sie wirkten wie Brillanten auf schwarzem Samt.
Gianfranco, der Hausverwalter, war mit auf den Balkon gekommen. Er war ein junger Mann von Anfang Zwanzig und betrachtete Serafina voller Bewunderung.
»Die Provence«, nahm Marco Datini das Gespräch wieder auf, »konnte es am Ende doch nicht abwenden, in den Bürgerkrieg einbezogen zu werden. Vor vier Jahren erklärte sich Marseille von Frankreich unabhängig. Henri de Navarre ist noch nicht stark genug, um sich dort durchzusetzen. Charles de Casaulx regiert Marseille, Signora, nicht der Bourbonenkönig. Solche … Unwägbarkeiten … sind nicht gut fürs Geschäft.«
Natürlich wußte sie vieles davon bereits von ihrem Aufenthalt in Marseille im vergangenen Jahr, aber sie erwähnte es nicht. Scheinbare Unwissenheit konnte oft sehr nützlich sein – sie ermutigte Menschen zum Sprechen.
»Betrug, Bestechung und Wucher herrschen dort«, fuhr Marco fort. »Zu vielen Menschen werden zu hohe Schmiergelder gezahlt. Es kostet mehr, die Waren durch Marseille und nach Lyon zu bringen, als sie per Schiff an der Küste entlang zu transportieren und direkt im Norden zu verkaufen. Bestechung reduziert den Gewinn, Signora.«
Nun meldete sich wieder der Franzose zu Wort. »Sie wundern sich vielleicht, daß ich diese Meinung teile, Madame. Ich stamme aus Paris, müssen Sie wissen. In der Provence gibt es keinen ehrlichen Mann mehr.«
Marco nickte bestätigend. »Und dann ist da noch der Krieg. Sowohl Spanien als auch Savoyen mischen sich in französische Angelegenheiten – vor allem in die der Provence. Wenn Ihr Mann Seide in den Norden verkaufen will, Signora, dann raten Sie ihm, die nicht auf dem Landweg sondern per Schiff zu transportieren. Meiden Sie Toulon – und Marseille.«
»Vor allem Marseille!« Eine neue Stimme. Sie sprach italienisch mit englischem Akzent. Serafina hatte ihn nicht kommen gehört – aber sie hatte gewußt, daß er irgendwann kommen würde. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen.
Thomas trag eine schwarze Hose, ein schwarzes Wams und ein weitärmeliges weißes Seidenhemd. Serafina, die ihn in grobem Stoff zu sehen gewohnt war, fand, daß die elegante Aufmachung ihn älter erscheinen ließ – unnahbarer. Allerdings hatte er sich nicht von seinem Filzhut trennen können und wirkte daher wie eine Krähe unter Paradiesvögeln.
»Paris ist voller Meuchelmörder und Dieben, nicht wahr, Signora?« Sie erkannte an seiner leicht schleppenden Aussprache, daß er betrunken war. Als sie sich ihm zuwandte, sah sie geradewegs in die nur allzu bekannten blauen Augen.
»Voller Meuchelmörder und Diebe, Sie haben recht, Monsieur Marlowe. Wie England.«
Sein Blick, der Belustigung und eine andere, weit weniger positive Empfindung ausdrückte, hielt sie fest. Sie war froh, daß sie das Kleid aus dunkelgoldfarbener Seide trug und ihre Frisur so gut gelungen war. Wieso kümmerte es sie, welchen Eindruck sie auf Thomas machte? »Haben Sie einen Geldgeber gefunden, Monsieur Marlowe?« fragte sie zusammenhanglos.
»Die English Levant Company«, erwiderte er nach kaum merklichem Zögern.
»Sieh da, Monsieur Marlowe.« Serafina empfand eine Mischung aus Befriedigung und Verachtung, die sie selbst befremdete. »Demnach haben Sie Ihre Seele schließlich doch verkauft.«
Nach einem kurzen Schweigen sagte Thomas mit erhobener Stimme: »Wie unhöflich von mir – ich bitte um Vergebung, Ihre faszinierende Unterhaltung unterbrochen zu haben, meine Herren. Signora Capriani hat ein besonderes Interesse an Marseille, wissen Sie, sie hat Bekannte dort.«
»Ach, tatsächlich?« Der Franzose sah Serafina neugierig an. »Wie ich schon sagte, ich stamme aus Paris, Madame, aber ich kenne Marseille seit vielen Jahren. Darf ich nach dem Namen Ihrer Bekannten fragen?«
Ihre Kehle und ihre Lippen waren wie ausgedörrt. Die durch die geschlossene Tür nur gedämpft zu hörende Musik erschien ihr plötzlich ohrenbetäubend. Sie
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