Seraphim
Viertels.
Ihr Weg führte sie jetzt in schrägem Winkel auf die neue Stadtmauer zu, deren hölzernen Wehrgang man zu Ehren des Königs und anderer hoher Würdenträger in leuchtendem Rot und Weiß bemalt hatte. Als Katharina einen gemauerten Ziehbrunnen passierte, konnte sie die Soldaten auf den Wehranlagen patrouillieren sehen. Die Stadtmauer machte hier einen Knick, und Katharina musste ebenfalls ihre Richtung ändern, denn die Häuser waren an dieser Stelle bis an die Mauern herangebaut und gewährten keinerlei Durchgang. So lenkte Katharina ihre Schritte tiefer ins Innere der Stadt. Sie überquerte zwei Gassen, in denen die Häuser schmal und eng gestaffelt standen und mit ihren Toreinfahrten erkennen ließen, dass hier hauptsächlich Händler wohnten. Ein halbes Dutzend Mühlräder erfüllte die Luft mit Knarren und Quietschen. Katharina bog noch einmal nach rechts ab und erreichte schließlich die Pegnitz, den Fluss, der die Stadt in zwei fast gleich große Teile zerschnitt. Sie überquerte ihn auf einer breiten steinernen Brücke, an deren Geländer noch immer Reste der bunten Wimpel hingen, mit denen man zu Maximilians Auszug vor ein paar Tagen die ganze Stadt geschmückt hatte.
Ganz kurz nur warf sie einen Blick nach rechts, wo sich in knapper Entfernung eine überdachte und mit Fachwerk verkleideteBrücke über den Fluss spannte, die in einem ebenfalls holzverkleideten Turm mit spitzem Dach endete. Der Henkersteg.
Eilig ließ Katharina ihn hinter sich.
Sie befand sich jetzt in den älteren Teilen Nürnbergs, der sogenannten Sebalder Stadt. Von hier aus erreichte sie die Kirche, die dem Viertel seinen Namen gegeben hatte. Auch ihr schenkte sie keinen zweiten Blick.
Ihr Ziel lag in der Krämersgasse, ganz in der Nähe des Predigerklosters. Es war ein dreistöckiges Haus mit gemauertem Fundament und schwarzen Fachwerkbalken, die sich unter der Traufe in einem filigranen Muster mit den Dachbalken verbanden. Ein Hausstein mit sieben Stufen führte zu der doppelflügligen Haustür hinauf, doch Katharina ging daran vorbei.
Sie sah sich einmal kurz nach allen Seiten um, bevor sie in einem Gässchen rechts des Hauses verschwand und ihm bis auf einen Hinterhof folgte. Hier befand sich ein weiterer Eingang, niedriger als der vordere und weniger prächtig. Ein Scheuereimer und ein Schrubber standen auf dem Hausstein, über dem eisernen Treppengeländer hing ein Teppich zum Lüften.
Katharina erklomm die Stufen, zögerte einen Moment und klopfte dann an.
Die Tür wurde so rasch geöffnet, als habe man nur auf Katharinas Erscheinen gewartet. Ein schmales Gesicht mit hohen Wangenknochen und tiefblauen Augen erschien in dem Spalt zwischen Türblatt und Rahmen.
»Edith!« Katharina lächelte das Dienstmädchen an. »Deine Herrin hat mich rufen lassen.«
Auf Ediths Gesicht lag ein geringschätziger Ausdruck. »Ich weiß. Kommt rein.«
Die Tür schwang ein kleines Stück auf, gerade so weit, dass Katharina sich hindurchzwängen konnte. Edith war einen ganzen Kopf kleiner als sie, obwohl ihr dichtes blondes Haar zu einer für ein Dienstmädchen unziemlich hohen Frisur aufgetürmt worden war. Bettine Hoger, die Herrin des Hauses, liebte es, ihre Dienstmädchen zu kämmen und zu frisieren, als seien sie ihre erwachsenen Töchter.
Ohne ein weiteres Wort führte Edith Katharina durch einen mit weißen und schwarzen Fliesen ausgelegten Gang, dann durch eine Tür, die in den vorderen Teil des Hauses führte. Hier lagen Teppiche auf dunkelroten Holzdielen, und Dutzende von Familienportraits zierten die weißgetünchten Wände. Peter Hoger, Bettines Mann, war ein angesehener Nürnberger Handwerker, ein Messingschläger, der sich durch Fleiß und Geschick ein Vermögen erwirtschaftet hatte. Es war ansehnlich genug, ihn zu einem Genannten des Großen Rates zu machen, zu einem Mitglied jenes mehrere Hundert Männer zählenden Kollegiums, das beim Erlassen von Gesetzen und Verordnungen mitwirken durfte.
Das unverschämte Schweigen Ediths bereitete Katharina Unbehagen. »Warum braucht deine Herrin meine Hilfe?«, fragte sie, um eine möglichst ruhige Stimme bemüht. Edith sollte auf keinen Fall merken, dass sie Angst hatte. Angst, bei dem, was sie hier tat, erwischt zu werden.
Das Dienstmädchen zuckte die Achseln. Ein feiner Stich fuhr Katharina durch das Herz. Früher hätte sie ein solches Verhalten nicht durchgehen lassen, doch heute ... Energisch schob sie den Gedanken von sich, denn zu schmerzhaft war das, zu dem er sie
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