Seraphim
führen würde. Ihre Kehle wurde eng, und sie atmete gegen den Widerstand an, der sich um ihren Brustkorb legen wollte wie ein Band aus Blei. Wie sehr sie sich doch nach früher sehnte, nach einer Zeit, in der sie keine Angst vor Entdeckung hatte haben müssen. In der sie eine angesehene Bürgersfrau gewesen war. Doch das war in einem anderen Leben gewesen. Weit entfernt von Nürnberg.
Zu ihrer Erleichterung erreichten sie endlich Bettines Gemach, und als Edith anklopfte, wich Katharinas Beklemmung ein Stück weit zurück.
»Katharina!« Die Stimme von Bettine klang matt, beinahe zu Tode erschöpft, und Katharina wusste im selben Moment, was sie erwartete. Sie wappnete sich und folgte Edith in das düstere Zimmer.
»Frau Bettine!« Sie zwang ein Lächeln auf ihre Lippen.
Bettine Hoger lag in einem großen Bett, mit einer dicken gesteppten Decke bis unter das Kinn zugedeckt und von einem Berg an Kissen umgeben, die ihre Gestalt aussehen ließen, als sei sie ineinem Schneesturm verlorengegangen. Auf dem Nachtkästchen stand eine glänzende Messingschale, in der Kirschen und Granatäpfel lagen, und daneben brannte eine einzelne Kerze und verbreitete flackerndes Licht. Eine Handvoll Fläschchen mit Medizin stand herum, einige davon waren leer.
Katharina trat an das Bett. Es war aus dunklem geschnitzten Holz und mit einem Baldachin versehen, der vor lauter wallenden Bahnen aus dickem blauen Samt schier zusammenzubrechen drohte. Wie auch ihr Mann kam Bettine Hoger aus einfachen Verhältnissen und hatte es nie gelernt, mit ihrem Reichtum Maß zu halten. Katharinas Blick streifte die silbernen Kordeln, die den Baldachin an den Bettpfosten festhielten. Früher hätte sie selbst ein solches Bett haben können. Früher. Als Egbert noch lebte.
Hastig wischte Katharina sich über die Stirn, als könne sie so diesen unerwünschten Gedanken aus ihrem Kopf vertreiben. Die Erinnerung an Egbert fuhr ihr wie ein Dorn durch das Herz. Sie öffnete die Lippen, schnappte unauffällig nach Luft. »Warum liegt Ihr hier im Finstern? Draußen scheint die Sonne!«
Bettine kämpfte einen ihrer Arme unter der Decke hervor und wies auf die Bettkante. Katharina setzte sich, und die Handwerkersfrau griff nach ihren Händen. Ihre Haut war trocken wie Pergament und sehr kühl. »Ich konnte das Licht nicht ertragen«, flüsterte sie. »Joachim wird es niemals wiedersehen.«
Katharinas Finger wurden schmerzhaft zusammengequetscht bei diesen Worten. »Wurde sein Rechtstag angeordnet?«
»Ja.« Bettine hauchte das eine Wort nur. In ihren Augen standen Tränen.
Katharina nickte. Es hatte so kommen müssen. Joachim Gunther war ein Verräter. Wer Geheimnisse über die Stadtbefestigung an Feinde Nürnbergs verkaufte, verdiente den Tod. Jedenfalls sahen das die meisten Bürger der Stadt so.
Bettine seufzte. »Ich hatte ihm versprochen, seine letzte Nacht bei ihm im Kerker zu verbringen, er hat sonst niemanden in der Stadt. Und jetzt sieh mich an: Nicht mal einen Arm kann ich richtig rühren.«
Es war schwer mit anzusehen, wie sehr sich Bettine damit quälte,dass sie ihr Versprechen nicht einhalten konnte. »Er ist ein Verbrecher«, versuchte Katharina es ihr wenigstens ein bisschen zu erleichtern.
»Ich weiß doch! Ich weiß, dass er schuldig ist. Er hat es gestanden, Katharina, und sie mussten ihm dafür nur ein wenig mit der Folter drohen. Und er wird es auch an seinem Rechtstag neu gestehen.«
Was die Voraussetzung war – das wusste Katharina –, dass man ihn hinrichten konnte. »Er hat seinen Frieden gemacht«, erklärte sie Bettine. »Das solltet Ihr auch.«
»Ich weiß.« Unter der Decke hob und senkte sich Bettines Busen. »Aber es fällt mir so schwer. In mir«, sie löste ihre Hand aus der Katharinas, tippte sich an die Stirn, zögerte dann und legte ihre Hand auf den Busen, »ist es plötzlich so finster.« Sie bemerkte, dass Edith noch in der Tür stand, und wedelte sie wortlos hinaus. Dabei fiel Katharina der Verband auf, den sie um das Handgelenk trug. Erst als das Dienstmädchen verschwunden war, richtete Bettine den Blick auf Katharina. In ihren ehemals dunkelbraunen, im Laufe der Jahre zu einem schmutzigen Ockerton verblassten Augen glitzerten Tränen.
Katharina unterdrückte ein Seufzen. »Meint Ihr nicht, Ihr solltet Eure Besuche im Lochgefängnis einstellen, wenn sie Euch so sehr belasten?«
»Wahrscheinlich.«
Katharina wusste, dass Bettine diesem Rat nicht folgen würde. Sie tat es nie. Sie gehörte zu einer Gruppe von
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