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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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presste ihr den Atem aus dem Leib und jedes bisschen Mut dazu. Sie hockte noch immer auf der schmalen Holzbank, allerdings hatte sie sich jetzt ein Stück zur Seite gedreht, so dass sie, mit dem Rücken gegen die vordere Zellenwand gelehnt, dasitzen und die Füße auf die Bank hochnehmen konnte. Ihre Gedanken klammerten sich an eines: Bürgermeister Zeuner würde sie hier herausholen.
    Die melancholia jedoch machte alles Hoffen schwierig. Immer wieder stahlen sich düstere Ahnungen in Katharinas Geist, Selbstvorwürfe und Grübeleien über die Form und das Ausmaß ihrer Sünden, die sie am Ende bis hierher geführt hatten. Was, wenn sie das alles hier verdient hatte?
    Sie wehrte sich gegen diese Frage, aber der Gedanke kehrte immer und immer wieder zurück, wie ein Hund, der sich in ein Stück Fleisch verbissen hatte und es nicht wieder loslassen wollte.
    Im Schein der Lampe betrachtete sie die feinen Narben an ihren Handgelenken, und plötzlich war Egberts Stimme in ihrem Ohr.
    Stell dich nicht so an, Katharina!
    Sie sah ihn vor sich stehen, in dem großen Haus in Antwerpen, das er damals gemietet hatte, und in ihrer Erinnerung hob er ein schmales Messer in die Höhe. Er hatte es nicht benutzt, denn Isobel – die tapfere, ruhige Isobel – hatte ihn daran gehindert. Prüfend hatte sie Katharina in die Augen gesehen, und sich dann zu Egbert umgewandt, um ihm ihre Meinung über die melancholia mitzuteilen.
    Egbert hatte sie nicht hören wollen. Er hatte das Skalpell in die Messingschale geworfen und war aus dem Raum gestürmt. Die Schale hatte erst aufgehört zu klingen, nachdem seine Schritte unten auf der Treppe längst verhallt waren.
    Damals, daran erinnerte Katharina sich jetzt, war sie wütend auf Egbert gewesen, und sie versuchte, dieses Gefühl zurückzurufen.
    Es gelang ihr nicht. So schmerzhaft war die Erinnerung an das, was Egbert ihr damals angetan hatte, dass sie sie weit von sich schob. Und alles, was sie danach noch denken konnte, war:
    Was, wenn ich das hier wirklich verdient habe?
    Schließlich verlor sie jegliches Zeitgefühl.
    Wie lange war sie schon hier unten? Stunden? Es kam ihr vor wie Tage. Ihre Augen brannten, und das Fleisch an ihren Unterarmen schmerzte, weil sie sich so heftig daran festkrallte. Sie rutschte an der Wand nach unten, bis sie auf der schmalen Pritsche lag.
    Irgendwann schlief sie ein und träumte.
    Sie träumte, dass die Zellentür geöffnet wurde. Das Gefühl von Bedrohung schlug über ihr zusammen, als eine hochgewachsene Gestalt sich durch die Türöffnung bückte. Eine Gestalt, deren Gesicht von Schatten verhüllt war. Die Gestalt packte sie, zerrte sie mit sich, und sie konnte ihren Geruch wahrnehmen. Es war ein Geruch, den sie schon einmal in der Nase gehabt hatte. Sie mühte sich, sich zu erinnern, wo das gewesen war, aber es gelang ihr nicht. Sie wusste, dass sie sich erinnern musste, dass ihr ein schreckliches Schicksal drohte, wenn sie es nicht tat, und dennoch gelang es ihr nicht. Sie wurde in einen kleinen Raum gebracht, der ein ganzes Stück tiefer lag als die Zellen. Eine steile Holztreppe führte hinunter. Katharinas Blick fiel auf eine schräg an der Wand stehende Leiter. Dann auf ein Gestell, an dem an langen Stricken zwei unterschiedlich große Steine hingen.
    Ihre Knie drohten nachzugeben, doch der Mann, dessen Gesicht sie nicht erkennen konnte, hielt sie. Er schien zu lächeln. Er führte Katharina zu der Leiter, und im nächsten Augenblick war sie gefesselt. Ihre Arme ragten über ihren Kopf nach oben, und ihre Füße erreichten kaum noch den Boden. Der Mann berührte sie am Rücken. Dann riss er ihr die Kleidung vom Leib. Katharina spürte das harte Holz der Leiter an ihren Brüsten, an ihrem nackten Bauch, und in ihrem Traum wusste sie, dass sie den Mann hinter sich jetzt erkennen würde, wenn es ihr nur gelänge, sich umzuwenden. Das war der Moment, in dem sie schreiend aus dem Schlaf auffuhr.
    »Ruhig!«
    Eine bekannte Stimme. So bekannt wie der Geruch des Fremden aus ihrem Traum. Katharina fuhr zurück. Jemand stand vor ihr.
    »Scht! Ich bin es. Sebald!«
    Da endlich erkannte sie ihn. Erleichterung flutete durch ihren Leib. Sie war noch immer vollständig bekleidet. Der Fremde mit dem wohlbekannten Geruch war fort. Jetzt, da sie wach war, wussteKatharina plötzlich, dass es Bertram gewesen war, von dem sie geträumt hatte.
    Sebald richtete sich auf. »Es war nur ein Traum«, sagte er. »Alles wird gut werden. Bürgermeister Zeuner ist auf unserer

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