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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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»Trinkt ein bisschen. Dann wird es Euch besser gehen.«
    Sie fühlte zuerst die Kühle des Brunnenwassers auf ihren Lippen, dann trank sie. Das Wasser schmeckte fürchterlich bitter.
    Katharina verzog das Gesicht.
    Richard verspürte eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Misstrauen, als Zeuner dem Lochwirt den Wink gab, Katharina loszubinden. Noch immer grübelte er darüber nach, was der Bürgermeister vorhaben mochte. Die Erklärung, die er Richard geliefert hatte, dass Katharinas Hiersein zur Erlangung eines schnellen Geständnisses diente, mochte er nicht so recht glauben, und die Tatsache, dass Zeuner, bevor er Sebald zugenickt hatte, seinen Blick einen Moment lang suchend über die Menschenmenge hatte schweifen lassen, verstärkte Richards Misstrauen noch.
    Kurz vermeinte er im Gedränge einen Mann mit federgeschmücktem Hut zu sehen, mit dem Zeuner Blicke tauschte, aber als er genauer hinsah, war der Mann verschwunden.
    Gunther war inzwischen auf dem Hochgericht angekommen, undRichard hörte die beiden Priester Gebete für ihn sprechen. Als sie fertig waren, schnallte man Joachim Gunther auf ein Gestell, das aussah wie ein Andreaskreuz. Mit weit gespreizten Armen und Beinen lag er da, den Kopf zur Seite gewendet, als suche er in der Menge jemanden. Seine Blicke fanden Katharina und klammerten sich an sie.
    Sie streckte die Hand nach ihm aus und lehnte sich an Richard.
    Er umfasste sie fester, denn sie schwankte jetzt stärker als je zuvor.
    Der Henker trat an das Gestell. Ein unterdrücktes Raunen ging durch die Menge, dann wurde in der Nähe des Brunnens Lärm laut. Jemand schrie etwas, doch er schien betrunken zu sein, denn seine Worte klangen lallend und undeutlich. Zwei Stadtsoldaten verließen den Kreis ihrer Kameraden, bahnten sich einen Weg zum Brunnen und sorgten für Ruhe.
    Die Menge wandte sich wieder dem Rabenstein und dem Henker zu, der sich in der Zwischenzeit nicht gerührt hatte.
    Richard biss die Zähne zusammen, denn Katharina krallte sich mit solcher Kraft in seinen Arm, dass es schmerzte. Der Henker wartete auf einen Befehl des Richters. Als er ihn erhielt, neigte er den Kopf, bückte sich zu einem Eimer hinunter, der zu seinen Füßen stand, und schöpfte mit einer Holzkelle etwas Wasser daraus. Dann setzte er die Kelle an Gunthers Mund und gab ihm zu trinken.
    Der Verurteilte schluckte, verschluckte sich. Hustete.
    Wieder gab es einen Tumult, diesmal vor einem der Fuhrwerke, die für die Schaulustigen aufgestellt worden waren. »Lasst mich hinauf!«, schrie eine Frau mit schriller Stimme. »Die Leiter, seht ihr nicht die Leiter? Sie führt direkt in den Himmel!« Diesmal brauchte es die Soldaten nicht, um wieder für Ruhe zu sorgen, denn ein Mann packte die Stammelnde bei den Schultern und schüttelte sie so heftig, dass ihr Kopf vor und zurück flog wie der einer Puppe.
    Der Henker ließ die Kelle in den Eimer zurückfallen. Als er das große eisenbeschlagene Wagenrad nahm und in die Höhe hob, ging ein lauteres Raunen durch die Menge. Mit einer vollständigen Drehung präsentierte er das Rad den Anwesenden. Richard konnte hören, wie einzelne Menschen aufseufzten. Spannung lag in der Luft, als nähere sich ein schweres Gewitter. Katharina presste beide Hände vor den Mund.
    Dann verstummten auch die letzten Tuscheleien.
    Es wurde totenstill.
    Der Henker beendete seine Drehung und hielt das Rad über den linken Unterschenkel Gunthers. Richard konnte den Blick nicht von der Frau vor dem Fuhrwerk abwenden. Die Haare hingen ihr über ein Auge, ihre Haube saß schief auf dem Kopf. Doch das alles schien sie überhaupt nicht zu bemerken. Mit einem blöden Ausdruck glotzte sie einfach nur vor sich hin. Richard suchte in der Menge nach Arnulf und entdeckte ihn ganz in der Nähe des Brunnens. Seine Miene wirkte ernst und nachdenklich, während er seine Blicke umherschweifen ließ.
    »Heilige Maria, Mutter Gottes«, flüsterte Katharina. »Steh ihm bei!«
    Das Rad sauste hinunter. Richard packte Katharinas Kopf und riss ihr Gesicht an seine Brust. Das Rad prallte auf Gunthers Unterschenkel und zertrümmerte ihn. Gunther brüllte auf, und Katharina zuckte zusammen, als hätte der Hieb ihr gegolten. Sie hatte die Hände auf die Ohren gepresst und bebte am gesamten Körper, während der Henker sein grausiges Werk verrichtete. Immer wenn das Rad seinen höchsten Punkt erreicht hatte, wenn die atemlose Stille der Gaffer ihr anzeigte, dass es im nächsten Moment niedersausen würde, erstarrte

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