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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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nach ihr aus. Krallen, die sie zerreißen wollten.
    Sie wollte schreien, aber ihr Mund war so trocken, dass sie keinen Ton hervorbrachte.
    Jemand ganz in ihrer Nähe zischte »Teufelsbuhlin!« und dann: »Ihr habt ihn verhext!«
    Ein sirrendes Geräusch ertönte, dann schwirrte etwas durch ihrGesichtsfeld. Sie taumelte. Ein scharfer Schmerz setzte ihren Arm in Brand. Sie schrie auf. Jemand packte sie um die Leibesmitte, sie wurde mitgerissen.
    »Vorsicht!«, brüllte der fremde Mann, der ehemals grüne Augen gehabt hatte. Jetzt lagen in seinem Schädel zwei glühende Kohlen.
    Sie hörte Richard aufschreien, sah ihn herumwirbeln. Ein verzerrtes Gesicht kam nahe an sie heran, ein weit aufgerissener Mund, Zähne, die ganz dicht vor ihrem Hals zusammenklappten wie eine Falle. Sie riss einen Arm hoch, doch sie hatte das Gefühl, sich unter Wasser zu befinden. Ihre Bewegungen waren schwerfällig. Langsam. Wieder schrie jemand.
    Joachim wurde unter einer Flut von zuckenden Leibern begraben, die sich auf ihn warfen. Bertram stand inmitten dieses Stromes, ein Fels in der Brandung, das Richtschwert hoch erhoben. Katharina sah, wie es auf die Wahnsinnigen niedersauste, wieder und wieder. Rasch wandte sie den Blick ab. Warmer Atem strich ihr über die Haut im Genick, dann grub sich etwas in ihren Hals, heiß und schmerzhaft wie Feuer. Sie schlug um sich, ein Mann stürzte zu Boden, auf den Lippen Blut. Ihr Blut.
    »Katharina!«, hörte sie Richard rufen, doch ihr Name verhallte in tiefer, endloser Finsternis. Ihr Blick fiel auf ein fremdes Gesicht. Der Stadtrichter, der die Begnadigung verkündet hatte. Er lächelte. Auch seine Augen standen in Flammen.
    Es war das letzte, was sie sah, dann stürzte sie in die Finsternis.
    »Dort ist er, der Engel! Seht hin, damit ihr ihn erkennt. Er lebt unter euch, und ihr vermögt ihn nicht zu sehen!«
    Richard, der von dem Aufflackern des Irrsinns in der Menge für einen kurzen Moment von Joachim Gunther abgelenkt worden war, riss bei diesen Worten den Kopf herum. Er sah den Verurteilten auf Katharina zeigen, und im nächsten Moment krachte ein Mann mit solcher Gewalt gegen den Karren, dass Richard beinahe den Boden unter den Füßen verlor. Er ließ Katharina los, klammerte sich an der Seitenwand fest. Sein Knie schlug dabei schmerzhaft irgendwo an, doch er achtete kaum darauf. Der Irre langte durch die Karrenstäbe nach Katharina.
    So fest er konnte, schlug Richard gegen die verkrümmten Finger. »Lass das!«, fauchte er den Mann an, und im gleichen Moment war Arnulf bei ihm auf dem Karren.
    »Weg hier!«, rief er, während der Irre sich die schmerzende Hand hielt und Katharina das Wort »Hexe!« entgegenschleuderte.
    Richard packte Katharina kurzerhand um die Leibesmitte und zerrte sie mit sich vom Karren. Ihr Fuß verfing sich in einer Bodenfurche, und sie strauchelte, aber er zog sie einfach mit sich.
    Plötzlich befanden sie sich mitten in der rasenden Menge. Eine Gruppe von drei jungen Männern war dabei, sich gegenseitig die Kleidung vom Leib zu reißen. Eine Frau hockte auf der Erde, den Kopf mit beiden Armen umklammernd, und wiegte den Oberkörper vor und zurück. Die jungen Männer stolperten über sie, doch sie schien es kaum zu bemerken. Als sie die nackten Körper vor sich sah, wurden ihre Bewegungen hektischer.
    Bevor Richard weitere Einzelheiten erkennen konnte, hörte er Arnulfs Stimme: »Hier! Nimm das!« Ein kurzes Schwert mit scharf geschliffener Parierstange wurde ihm in die Hand gedrückt. Er warf einen kurzen Blick zur Seite und erkannte, dass Arnulf eine armlange Klinge hielt und sie in diesem Moment auf eine Hand niedersausen ließ, die nach Katharina langte. Blut spritzte empor, der Verstümmelte stieß einen langgezogenen Schrei aus, aber da waren sie schon weiter.
    »Teufelsbuhlin! Ihr habt ihn verhext!« Jemand fiel Katharina von der Seite an, so schnell bewegte er sich, dass Richard ihn aus dem Augenwinkel nur als Schatten wahrnahm. Er fuhr herum, Arnulfs Schwert hoch erhoben. Gerade noch rechtzeitig. Vor Katharinas Gesicht prallte ein langes Messer auf seine Waffe. Es gab ein kreischendes Geräusch, als die beiden Klingen sich aneinander wetzten. Richard drehte seine Hände ein Stück zur Seite, und die Spitze der Parierstange bohrte sich in das Handgelenk des Angreifers. Der Mann warf sich zurück, doch dabei vollführte sein Messer einen weiten Bogen. Traf Katharinas Arm.
    Richard hörte sie schreien.
    Von dem eigenen Schwung wurde er vorwärtsgezogen, stieß

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