Seraphim
halb erhoben, und dann stürzte er sich mit solcher Geschwindigkeit auf Richard, dass der der Schwertspitze ausweichen musste. Der Blick des Mannes flackerte unstet.
Langsam, um den Mann nicht noch mehr in Schrecken zu versetzen, zog Richard seine eigene Waffe.
»Wer – seid – Ihr?«, stammelte der Patrizier. Dann kniff er die Augen zusammen, und sein Kopf kippte nach hinten weg, als habe er keine Kraft mehr in seinem Körper.
Richard drückte mit seiner Klinge die des Mannes herunter.
»Lass das!«, donnerte der Mann. Sein Schwert ruckte hoch, doch Richard hatte keine Mühe, den fahrig ausgeführten Streich zu parieren. »Teufel, dich werde ich ...« Mit einem Brüllen, das dem eines Stieres glich, stürzte der Mann sich auf Richard. Doch er war zu benommen, um Schaden anzurichten. Richard wich aus, der Kerl rannte stolpernd an ihm vorbei und blieb dann verblüfft stehen. »Komm her!«, befahl er. Er lallte. »Deine Flugkunststücke nützen dir gar nichts, du ... du ...« Langsam drehte er sich um. Ebenso wie der Junge hatte er jetzt die Zähne gefletscht. Das Schwert rutschte aus seinen kraftlosen Fingern und polterte zu Boden. Er hob die Hände, dann griff er Richard zum zweiten Mal an.
Wieder wich Richard aus, doch diesmal war er nicht schnell genug. Zwar entkam er dem Wahnsinnigen, doch gleichzeitig prallte etwas mit voller Wucht gegen ihn. Er stolperte vorwärts, die Luft wurde ihm aus den Lungen getrieben. Ein Gewicht senkte sich auf seinen Rücken. Arme legten sich um seinen Hals wie ein Schraubstock. Er wirbelte herum. Das Gewicht wurde nicht leichter.
Ein Marktweib hockte auf seinem Rücken und zischte ihm ins Ohr wie ein böser Geist. Fingernägel bohrten sich in Richards Brust. Er warf sich herum, schleuderte die Wahnsinnige gegen die Seitenwand einer der Buden. Ihr lauter Schrei vermischte sich mit dem Dröhnen der Bretter, und sie sank zu Boden.
Richard ließ sie und den Patrizier, wo sie waren, und eilte weiter.
Er umrundete eine Gruppe von jungen Männern, die sich, zum Faustkampf bereit, gegenüberstanden, jedoch in ihrem Zorn aufeinander wie erstarrt schienen. Und er wich zwei Frauen aus, die ineinander verkrallt über den Boden rollten wie wütende Katzen.
Mit Mühe und Not erreichte Richard Pömers Haus und brachte sich auf dem Hausstein in Sicherheit. Die Tür wurde aufgerissen, kaum dass er, von seinem eigenen Schwung getragen, gegen sie krachte. Jemand packte ihn, zog ihn ins Innere.
»Gott sei Dank, Herr Sterner!« Es war Thomas. Er sah erschüttert aus. »Was geschieht dort draußen?«
Richard stützte sich keuchend an der Wand ab und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. »Ich weiß es nicht, Thomas. Ich weiß es nicht. Aber ich danke dir, dass du mich gerettet hast.« Er tastete nach seiner Brust, über der das Hemd zerfetzt und blutig war. Quer über seine Haut zogen sich vier lange brennende Schrammen.
»Ihr seid verletzt!«, rief Thomas aus. »Kommt, ich helfe Euch!« Er wollte Richard stützen, doch der wehrte ab.
»Es geht schon! Ich muss weiter, zu Katharina.«
Plötzlich stand Pömer vor ihm. »Ihr könnt da nicht wieder raus. Seht doch!« Er wies aus dem Fenster, wo die Menge noch immer in rasendem Irrsinn tobte.
In diesem Moment brach das Gewitter über Nürnberg los.
19. Kapitel
Katharina geriet in die Fänge der Wahnsinnigen, kaum dass sie Sterners Haus verlassen hatte und in eine der anliegenden Gassen eingebogen war.
Im ersten Moment wusste sie nicht, wie ihr geschah, als sie um eine Hausecke bog und sich mitten in einer Menschenmenge wiederfand. Sie spürte, dass jemand nach ihr griff, dass sich scharfe Fingernägel in ihren Oberarm bohrten. Mit einem gleichzeitig wütenden und angstvollen Schrei fuhr sie herum und starrte in zwei Augen, in denen das Weiße gelblich schimmerte. Auch der Himmel schien plötzlich gelb. Ein Knistern lag in der Luft. Das Nächste, was Katharina wahrnahm, waren die Zähne, die sich in ihren Arm schlagen wollten. Panisch wich sie zurück, stieß sich die nackten Fersen an einem Vorsprung. Der Mann, der sie festhielt, heulte auf, dann schnappten seine Kiefer dicht vor Katharinas Hals zu. Mit einem Ruck riss sie sich los, warf sich herum, nur um im nächsten Moment von einem zweiten Mann aufgehalten zu werden. Arme schlossen sich um sie, pressten ihr den Atem aus dem Leib. Sie kreischte auf, trat um sich, aber es nützte ihr nichts. Sie wurde in eine Ecke gedrängt, das Gewicht des Mannes nagelte sie gegen eine raue Hauswand.
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