Seraphim
Kirchenmann.«
»Ich will versuchen, Euch so gut wie möglich zu helfen.« Johannes räusperte sich. Konnte es sein, dass der Bürgermeister nicht seinetwegen hier war?
Zeuner lächelte. In seinen braunen Augen lag ein freundlicher Ausdruck, und Johannes entspannte sich ein wenig. »Dafür danke ich Euch schon einmal im Voraus.«
»Bürgermeister Zeuner wurde vom Stadtrat mit der Untersuchung des Mordfalles betraut, dessen ... Opfer in unserer Kapelleliegt«, erklärte Prior Johannes. »Wir haben uns bereits eine Weile unterhalten und die geistlichen Implikationen besprochen, die das Verbrechen mit sich bringt.«
»Geistliche Implikationen«, wiederholte Johannes.
Zeuner nickte. »Euer Vater«, er wies auf den Prior, »versucht gerade, mich davon zu überzeugen, dass wir es bei dem Toten nicht mit einem wie auch immer gearteten Vertreter der himmlischen Heerscharen zu tun haben.«
Claudius wies auf ein dickes Buch, das rechts von ihm auf dem Pult lag. »Ich habe dem Bürgermeister gerade eine Passage aus der Summa Theologiae vorgelesen, bevor Ihr kamt.« Johannes schaute auf das von Thomas von Aquin geschriebene Buch.
Zeuner lachte leise. »Vorgelesen, ja. Aber ich sagte Euch bereits, dass ich des Lateinischen nicht so mächtig bin wie Ihr.«
Prior Claudius lächelte erneut und lehnte sich zurück. »Darum werde ich es Euch auslegen. Thomas von Aquin schreibt in diesem Buch nichts anderes, als dass Engel von Gott ihr Sein und ihren Geist erhalten haben.«
Zeuner neigte den Kopf, als lausche er einer wichtigen Predigt. »Wie der Mensch auch.«
»Ja. Nur dass Gott die Engel ohne Materie schuf.«
»Sie sind also körperlos?«
»Genau. Sie sind geistige Wesen, erschaffen zwar, aber rein geistig, ohne jede Körperlichkeit und Zusammensetzung aus Materie.«
Zeuner stützte sein Kinn in die Hand. »Das heißt also, dass der Tote in Eurer Kapelle auf keinen Fall ein Engel ist. Dachte ich mir.«
Prior Claudius schaute Johannes auffordernd an. Der war verwirrt, da er nicht wusste, was von ihm erwartet wurde. »Ihr seid medizinisch versiert«, sagte der Prior mit einem Anflug von Ungeduld in der Stimme. »Wie ist Eure Meinung in diesem Fall?«
Wieder musste Johannes gegen den Kloß in seinem Hals anschlucken, bevor er antworten konnte. »Theologisch habe ich dem nichts hinzuzufügen. Vom medizinischen Standpunkt aus würde ich sagen, jemand hat den Mann umgebracht und ihm dann diese schrecklichen Flügel angeheftet. Ein furchtbares, gotteslästerliches Verbrechen, das ...«
»Schon gut!« Zeuner hob die Hände. »Wir konnten bereits in Erfahrung bringen, dass es sich bei dem Toten um einen der Röhrenmeister des Stadtrates handelt.«
Überrascht hob Claudius eine Augenbraue. »Ihr wisst, dass es ein Mensch ist? Warum lasst Ihr mich dann erst lange über das Wesen von Engeln dozieren?«
Zeuner zuckte die Achseln. »Wir dachten, der Mann könne vielleicht gestorben und gleich darauf als Engel zur Erde zurückgekommen sein, wo er dann – von wem auch immer – getötet wurde.«
Prior Claudius schnaubte. »Die Vorstellung, dass Menschen nach ihrem Tod als Engel bei Gott leben, ist kindlicher Aberglaube! Menschen sind Menschen. Auch nach ihrem Tod. Und Engel sind Engel. Weder wird je ein Engel in einen Menschen verwandelt werden noch ein Mensch in einen Engel.«
Zeuner beugte sich vor. Er sah verwirrt aus. »Erzählen nicht Eltern ihren Kindern, dass die Verstorbenen oben im Himmel ...«
»... bei Gott sind«, unterbrach Claudius ihn. »Ich vermute, es rührt von der falschen Vorstellung her, die allgemein über die Seele des Menschen herrscht. Ein weiterer großer Kirchenmann, Duns Scotus, schreibt dazu sehr richtig, dass ...«
Diesmal unterbrach Zeuner ihn. »Verschont mich damit!«, bat er. »Ich habe in Erfahrung gebracht, was ich wissen wollte.«
Johannes erwartete, dass er nun aufstehen und gehen würde, aber zu seiner Überraschung blieb er sitzen.
»Können wir Euch mit weiteren Dingen helfen?«, fragte Prior Claudius. Er wirkte nun etwas ungehalten, doch Zeuner schien das nicht zu stören.
»In der Tat« sagte er. »Es gibt leider nicht nur diesen Mord, um den ich mich zu kümmern habe, sondern auch noch andere – sagen wir ähnlich unerfreuliche Fälle.« Er zog die Nase kraus, dann fuhr er fort: »Ein Nürnberger Bürger, ein sehr geachteter Mann, ein Messingschläger, ist vor wenigen Stunden zu mir gekommen und hat eine Frau der Zauberei angeklagt.«
»Zauberei.« Unter Prior Claudius’
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