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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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damals das Gleiche tun können!«
    »Damals!« Arnulf kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. »Das liegt Ewigkeiten zurück! Du warst zehn, Richard! Zehn Jahre alt!«
    »Alt genug, um für meine Tat geradezustehen!«
    »Herrgott noch mal!« Jetzt ließ Arnulf seine Faust auf die Tischplatte krachen. Etwas Bier schwappte aus Richards noch vollem Krug, und die Männer an den Nachbartischen warfen neugierige Blicke herüber. »Du hast mit Magdalena am Weiher gespielt.« Arnulf hob die Hand und zählte die einzelnen Punkte an den Fingern ab. »Magdalena ist ertrunken. An ihrem Körper fand man Würgemale. Cesare Vasari galt als Kinderschänder. Er wurde gefangengenommen.« Er blickte auf seine ausgestreckte Hand und senkte sie. »Er wurde gefoltert, gestand und sollte hingerichtet werden. Dass er sich selbst im Weiher ertränkt hat, war ein Segen für alle.«
    Richard hatte die Augen geschlossen. »Du hast einige Kleinigkeiten vergessen. Die Würgemale an Magdalenas Hals stammten von mir.«
    »Weil du wütend geworden bist. Die Kleine hat dich oft bis aufs Blut gereizt. Du wolltest sie nicht umbringen, Richard. Es war ein Unfall!«
    Richard öffnete die Augen wieder und schaute auf den schmalen Silberring an seinem kleinen Finger. Magdalenas Ring. »Selbst wenn es so war: Als sie Vasari zur Folter abgeführt haben, hätte ich die Wahrheit sagen müssen. Er ist unschuldig an Magdalenas Tod gewesen.«
    »Aber schuldig an dem von mindestens zwei anderen kleinen Mädchen.« Arnulf hob seinen Krug an die Lippen, trank jedoch nicht. Über seinen Rand hinweg sah er Richard an. »Wenn du mich fragst, dann hast du ein gutes Werk getan.«
    Richard schwieg. Diesen Disput hatten sie schon Dutzende Malegeführt. Nie war es Arnulf gelungen, seine Schuldgefühle zu zerstreuen. Sein Verstand sagte Richard, dass sein Freund recht hatte, aber dennoch ließen sich die Gefühle nicht dadurch steuern.
    Er sah Arnulf an und gab seinen Erinnerungen nach.
    Plötzlich stand er wieder am Ufer dieses Weihers. Dichter Wald rings herum. Das Wasser wirkte düster, denn die Sonne hatte sich hinter schweren Wolken verkrochen. Er spürte Arnulfs Gegenwart und erinnerte sich daran, dass er den Freund nicht dabeihaben wollte.
    Cesare Vasaris freiwilliger Tod in dem Weiher war lange her, Magdalenas Tod noch viel länger.
    »Du bist verrückt, weißt du das?«, sagte Arnulf. Hinter ihm im Wald schrie ein Vogel.
    »Und wenn!«, erwiderte Richard. Er spürte eine große Gleichgültigkeit. Hemd und Stiefel hatte er bereits ausgezogen, jetzt entledigte er sich auch noch der Hose. Er vermied es, zu dem kleinen Sandstrand zu blicken, der rechts von ihm lag. Zu schmerzlich war die Erinnerung an Magdalena, die hier gestorben war.
    Dann sprang er.
    Das Wasser war eisig.
    Schwarz und betäubend schlug es über ihm zusammen, aber er achtete nicht darauf, wie sich seine Muskeln zusammenzogen, sondern schwamm mit einigen kräftigen Zügen in die Tiefe. Der Druck des Wassers wuchs. Er hörte seinen eigenen Herzschlag und ein Rauschen in seinen Ohren. Sehen konnte er nur wenig, obwohl er die Augen weit aufgerissen hatte. Schlingpflanzen streiften sein Gesicht. Die Berührung fühlte sich glitschig an, und er wischte sie fort.
    Ein Felsen tauchte vor ihm aus der Finsternis auf, undeutlich nur waren seine Umrisse in dem schwarzen Wasser auszumachen. Er streckte die Hand aus und berührte ihn. An seiner Seite tauchte er entlang.
    Und dann waren sie da.
    Bleiche Knochen, die sich sanft im Wasser bewegten, zusammengehalten von einem Rest Muskeln und dem Leder eines Hemdes.
    Vor Schreck vergaß Richard, dass er unter Wasser war. Er wollte nach Luft schnappen, Wasser schoss ihm in Mund und Nase und den Hals hinunter. Der Druck auf seine Ohren nahm schlagartig zu,gleichzeitig verspürte er einen krampfartigen Schmerz in der Kehle. Er ruderte rückwärts, aber er kam nicht vom Fleck. Sein Herz hämmerte ihm gegen die Rippen, und seine Lungen wollten explodieren.
    Der Schädel grinste ihn bösartig an.
    Vor Richards Augen verschwamm er zu einem blassen Schemen, als ihn die Ohnmacht zu überwältigen drohte. Er spürte eine Berührung an der Schulter. In heller Angst schlug er um sich. Seine Lunge brannte wie Feuer, seine Kehle zog sich noch enger zusammen. Glühende Räder drehten sich vor seinen Augen.
    Dann spürte er, wie er nach oben gezerrt wurde.
    Sein Kopf durchbrach die Wasseroberfläche, er wollte Luft in seinen Körper saugen, aber es ging nicht. Seine Kehle war

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