Seraphim
Ihr ihn, Frau Jacob? Er war bei mir, als ich Euch festnehmen lassen musste.«
Katharina schüttelte den Kopf. »Gehört er der Inquisition an?«
»Nein, aber ...«
Sebald unterbrach Zeuner mitten im Satz: »Die Inquisition hat nichts mit Hexereifällen zu tun. Sie ist zuständig für die Verfolgung von Ketzern!«
»Aber die Kirche ist dabei, das Hexenwesen als Ketzerei zu definieren«, widersprach Zeuner ihm, »um die Gerichtsbarkeit dafür an sich zu reißen. Im Süden gibt es seit einigen Jahren schon Hexenprozesse, die die Inquisition leitet. Aber Ihr könnt sicher sein, Katharina, dass ich alles tun werde, um Euren Fall so schnell wie möglich zu erledigen.«
»Ihr haltet mich nicht für eine Hexe?«, fragte sie zaghaft.
»Ich kenne Peter Hoger. Er ist ein Mann, der dem Schnaps nur allzu gerne zuspricht. Und dann sieht er Teufel auf jedem Dachreiter.Außerdem besitze ich ein, wenn auch geringes, medizinisches Wissen, und ich weiß, dass die Tränke, die Ihr Bettine Hoger verkauft habt, außer Johanniskraut und Baldrian nicht viel anderes enthalten.« Zeuner lächelte.
»Wie könnt Ihr da so sicher sein?«, fragte Katharina.
»Der Geruch von beidem ist mir wohlbekannt, meine Liebe. Und Hoger hat mir eine Probe Eurer Medizin gebracht, als er Euch anzeigte.«
Erleichterung flutete durch Katharinas Leib wie eine Woge. Zeuner war auf ihrer Seite! Dass er sich ihr gegenüber gab, als seien sie alte Bekannte, erschien ihr etwas seltsam, aber sie ging darüber hinweg.
Zeuner stieß sich von der Wand ab. »Ich wollte Euch ein wenig Mut machen. Leider muss ich jetzt wieder nach oben an meine Arbeit gehen.« Er verließ die Zelle. Obwohl auch er die Tür offenstehen ließ, waren seine Schritte nach wenigen Augenblicken bereits nicht mehr zu hören.
»Es wird alles gut!«, murmelte Sebald. »Er ist auf deiner Seite! Er wird den Rat überzeugen, dass du unschuldig bist.«
Katharina legte den Kopf gegen die Wand und gestattete sich, einen Moment die Augen zu schließen. Sie lauschte in sich hinein, und wunderte sich über sich selbst. In dieser Situation, hier unten im Loch, eingesperrt, in der Finsternis sitzend, mit der Möglichkeit, wegen Zauberei verhört, vielleicht sogar gefoltert zu werden, war ihre melancholia plötzlich wie weggeblasen. Kein Spinngewebe zog sich durch ihren Kopf; die Flamme der Talglampe brannte gelb und orange, nicht grau. In ihrem Licht waren Sebalds Beinkleider von dunklem moosigem Grün. Es schien, als wolle ihr Geist jedes bisschen Leben auskosten, das sich ihr bot.
»Ja«, erwiderte sie auf Sebalds Versicherung. »Das wird er.«
13. Kapitel
Nachdem die Büttel Katharina fortgebracht hatten, blieb Richard wie angewurzelt auf der Rathaustreppe stehen. Er stand so lange dort, bis die Sonne unterging und erste Sterne am Himmel erschienen.
Dann erst riss er sich aus seiner Erstarrung, schritt die wenigen Stufen nach unten und machte sich auf den Weg zu dem Viertel zwischen Kartäuserkloster und Spittlertor. Hier drängte sich eine Handvoll kleinerer Wirtshäuser im Schatten der Stadtmauer zusammen. Zielgenau steuerte Richard auf eines von ihnen zu. Es lag am Ende einer Gasse und war aus Fachwerk errichtet, das man offenbar vor dem Bau nicht gut genug abgelagert hatte. Die Balken hatten sich verzogen, und das gesamte Gebäude stand so windschief an seinen Nachbarn gelehnt, dass es den treffenden Namen »Zur krummen Diele« trug. Obwohl der Wirt die Eingangstür regelmäßig abschliff, klemmte sie so sehr, dass es nötig war, sich mit der Schulter dagegenzuwerfen, um sie aufzubekommen.
Geschickt öffnete Richard die widerspenstige Tür und musste einen Schritt zurückweichen, weil ein Gast das Gebäude verlassen wollte. Der Mann ging vornübergebeugt und hatte einen breitkrempigen Hut mit einer auffallend großen Feder so tief ins Gesicht gezogen, dass nichts von ihm zu erkennen war. Richard wünschte ihm eine gute Nacht, aber er nickte nur stumm und verschwand in der hereinbrechenden Dunkelheit. Richard dachte nicht weiter über ihn nach, sondern betrat stattdessen den Schankraum.
Der Geruch von billigem Branntwein und ebenso billigem Essen schlug ihm entgegen. Zwei Männer, die an der Theke lehnten und trübselig in ein Glas Bier schauten, warfen ihm einen kurzen Blick zu, aber da er ein regelmäßiger Gast hier war, scherten sie sich nicht um seine teure Kleidung und seine langen gepflegten Haare. Er grüßte sie und gab dem Wirt einen Wink.
Über die Gesichter der beiden Trinker
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