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Seraphim

Seraphim

Titel: Seraphim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Lange
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wie zugestopft. Undeutlich nur sah er, dass es Arnulf war, der ihn an Land zerrte. Er spürte Boden unter den Füßen, Sand unter den Händen. Er rang nach Atem – vergeblich. Sein Brustkorb zog sich qualvoll zusammen, einmal, zweimal.
    Und dann, nach einer halben Ewigkeit, strömte endlich Luft in seine Lungen. Arnulf zerrte ihn aus dem Wasser. Sein Gesichtsfeld wurde eng, graue Schleier rückten von allen Seiten an ihn heran. In seinem Schädel dröhnte es, aber dennoch konnte er Arnulfs Stimme hören.
    »Du Wahnsinniger! Ich habe es doch gesagt!«
    »Er war da«, ächzte er. »Cesare Vasari!« Seine Stimme hörte sich an wie die eines Fremden. Dann wurde er ohnmächtig.
    »Richard!« Arnulfs Stimme holte in zurück in das Gasthaus, zurück in die Gegenwart. »Woran hast du gedacht?«
    »An Vasari. An den Tag am Weiher. Ich dachte, ich hätte es im Griff«, murmelte Richard. »All die Jahre, Arnulf. Ich habe darum gekämpft, dieses elende Zittern meiner Hände unter Kontrolle zu bekommen, und es ist mir gelungen. Weißt du, wie lange ich nicht mehr von dem Tag am Weiher geträumt habe? Jahre!«
    Arnulfs Kehlkopf ruckte auf und ab. »Die Träume sind wieder da?«
    »Ja.« Richard drehte an Magdalenas Ring. »Sie blitzen in meinem Kopf auf, und ich kann es nicht verhindern. Sieh her!« Er hielt Arnulf seine Hände entgegen. Sie zitterten jetzt wie die eines sehr alten Mannes.
    Arnulf langte über den Tisch und umschloss sie mit seinen eigenen riesigen Pranken. »Ich habe Pömer gewarnt«, sagte er. »Ich hielt diesen ertrunkenen Jungen für keine gute Idee, doch er wollte nicht auf mich hören. Aber ich bin für den ja auch nur ’n dämlicher Nachtrabe!« Für den letzten Satz verfiel er erneut in seine Gossensprache. Diesmal veränderte er auch seinen Gesichtsausdruck, seine Augen verloren ihren scharfen Glanz, wurden stumpf und fast ein bisschen blöde. So stark wie nie zuvor hatte Richard den Eindruck, dass er schauspielerte. Arnulf hatte die gepflegte Aussprache und das selbstbewusste kühle Auftreten von Richard gelernt, als sie noch Kinder gewesen waren. Beides hatte er sich im Laufe der Jahre so meisterlich angeeignet, dass man seine zwielichtige Herkunft leicht vergessen konnte.
    Der Wirt trat an ihren Tisch und entdeckte ihre ineinander verschränkten Hände. Ein Ausdruck von Erstaunen glitt über seine Züge, dann ein Anflug von Abscheu, den er jedoch sofort durch ein freundliches Lächeln überdeckte. Arnulf nahm die Hände fort und legte sie unter dem Tisch auf seine Oberschenkel.
    »Noch ’n Bier«, befahl er und sah Richard an.
    Der nickte einfach.
    Der Wirt verschwand wieder.
    Arnulf hob die Hände auf die Tischplatte zurück, ließ sie jedoch in gebührender Entfernung von Richards. Dessen Finger lagen jetzt gespreizt auf dem rauen Holz, die Nägel weiß von dem Druck, mit dem er sie auf die Fläche presste.
    Der Wirt kam und brachte ihnen zwei neue Krüge. Arnulf griff nach seinem, doch Richard rührte den anderen nicht an.
    »Ich glaube, es liegt nicht an diesem Jungen«, behauptete er. »Es liegt an dieser Katharina.« In wenigen Worten erzählte er Arnulf, wie er sie kennengelernt hatte. Seine Rechte ballte sich zur Faust. »Was ich von dir wissen will, ist, gibt es eine Möglichkeit, ins Loch zu ihr zu gelangen, ohne den Lochwirt darum zu fragen? Ich hatte ein Berechtigungsschreiben von Pömer, aber Bürgermeister Zeuner hat dem Lochwirt gesagt, dass es ungültig ist.«
    »Was hast du vor? Willst du zu ihr gehen?« Arnulf wirkte betroffen. »Du bist also doch verliebt!«
    Diesmal stellte sich Richard dieser Behauptung. War er in Katharina verliebt? Er wusste es nicht. Oder doch? Die Wahrheit war, dass er nicht wagte, sich einzugestehen, was Katharina in ihm ausgelöst hatte. Die Zergliederung des ertrunkenen Jungen, das Auftauchen dieser geflügelten Leiche, die Rückkehr seiner düsteren Träume, das alles hatte ihn verletzlich gemacht, und so hatte sie ihn angerührt. Die Trauer um ihren Bruder strahlte von ihr aus wie Wärme von einem Ofen. Sie war ihm direkt ins Herz gedrungen und hatte dort die alten Wunden wieder aufgerissen.
    »Vielleicht.« Er schlug mit der Faust auf den Tisch. »Kennst du einen Weg, ins Loch zu gelangen?«
    Arnulf schüttelte den Kopf. »Die Lochwasserleitung führt hinein, aber sie ist stets gut verschlossen. Ohnehin: Wenn sie dich unerlaubterweise dort unten erwischen, werfen sie dich gleich zusammen mit diesem Joachim Gunther in die nächste

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