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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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den er dem hier und jetzt lebenden Menschen zu bringen imstande ist, wenn man ihn richtig aufbaut. Das alles ist Pascal völlig gleichgültig. Ein inneres dynamisches Leben des Staates existiert für ihn nicht, und wenn es existierte, so würde er es für urböse halten; Interesse am Staat hat er nicht, denn alle sind für ihn gleich schlecht.
    Ein wahres Wort, denke ich. Alle Staaten sind schlecht. Und existieren eigentlich nur, um das Schlechte fortzusetzen.
    Es lebe Pascal!
    Kurz bevor das Flugzeug zur Landung in Istanbul ansetzte, schlug ich noch mal meine Brieftasche auf. Aus dem Klarsichtfach sahen mich nun vier Frauen an.
    Maya, Ayşe, Mari und Nadja.

20
    Während des Anflugs auf Istanbul wurde unter anderem durchgesagt, was Passagiere mit Anschlussflügen zu beachten hatten, und das ging mich im Grunde nichts an, doch als ich den grauen Himmel draußen sah, dachte ich auf einmal: Warum eigentlich nicht? Zu Hause wurde ich von niemandem erwartet, und einen Job hatte ich auch nicht mehr. Ich war so frei wie ein aus dem Nest geworfener Vogel. Und konnte daher gut und gerne nach Bodrum umsteigen. Meinen Nerven würde das guttun, nach allem, was mir widerfahren war. Und meine Eltern würden sich auch freuen.
    Ich sprach eine Stewardess darauf an, und sie sagte mir, ich müsse nur darauf achten, zuerst mein Gepäck abzuholen.
    So absolvierte ich erst die Passkontrolle, holte mir dann meinen Koffer, und als ich das Terminal verließ, fiel mir ein, dass ich genau zehn Tage zuvor an derselben Stelle Maximilian in Empfang genommen hatte.
    Ich ging hinüber zum Inlandsterminal und informierte mich über Flüge nach Bodrum. Der nächste ging in knapp zwei Stunden, das passte wunderbar, und ich buchte und checkte ein. Dann kaufte ich ein paar Geschenke für meine Eltern. Anrufen wollte ich sie nicht, es sollte eine Überraschung sein.
    Mit ein paar Zeitungen setzte ich mich in ein Café. Was ich über die Türkei las, war wieder mal alles andere als herzerfrischend: Wirtschaftskrise, Politiker, die kein gutes Haar aneinander ließen, aufeinander einhackende Kolumnisten.
    Ich rief Kerem an, doch er antwortete nicht. Was er wohl trieb? Und ob es ihm gutging? Eigentlich versuchte ich, daran nicht allzu sehr zu denken, aber dann wurde ich erst recht von Gewissensbissen geplagt. Ich fühlte mich schuldig und sehnte michnach ihm, doch der Kampf, den ich um ein neues, geregeltes Leben führte, sollte auch ihm zugutekommen.
    Ob ich Ahmet wohl unrecht tat? War ich zu harsch zu ihm? Nein, ich brauchte ja nur zurückzudenken, was er mir alles angetan hatte. Andererseits konnte es doch gut sein, dass auch er gerade einen Wandlungsprozess durchmachte. Die Auflehnung gegen seinen Vater war vielleicht kein Einzelfall gewesen, sondern deutete auf eine Umkehr in ihrer Beziehung hin. Sollte ich ihn darin unterstützen? Möglich. Aber momentan war ich dazu nicht in der Lage. Schließlich war mein eigenes Leben auf den Kopf gestellt worden.
    Mein Flug wurde aufgerufen, und ich beschloss, die Frage erst mal zu verschieben.
    Ich hatte einen Fensterplatz auf der rechten Flugzeugseite und sah die Buchten der Ägäis und später, als es dunkelte, die Lichter der vor der Küste ankernden Schiffe.
    Seit jeher lebte ich auf, wenn ich in den Süden kam. Die Ägäis, das Land von Oliven, Thymian, Basilikum und Wein übt auf den Menschen einen Zauber aus. Von diesem wurde ich gleich wieder erfasst, als ich in Bodrum aus dem Flugzeug stieg. Man konnte besoffen werden von der Mischung aus milder Luft, Jod aus dem Meer und Thymianduft aus den Bergen. Gut, dass ich gekommen bin, dachte ich.
    Zusammen mit vielen deutschen und englischen Touristen holte ich mein Gepäck ab. Während die Touristen schließlich Reiseführern zu ihren Hotelbussen nachliefen, versuchte ich mit einem Taxifahrer einen guten Fahrpreis auszuhandeln. Bei früheren Besuchen hatte ich gemerkt, dass ich damit besser wegkam, als wenn sie den Taxameter einschalteten.
    Als das Taxi die Uferstraße entlangfuhr, machte ich das Fenster auf und sog die betörende Luft ein. Komischerweise musste ich plötzlich an die kleinwüchsigen Geschwister denken. Sie waren wohl von ihrer täglichen Forschungsarbeit ins Hotel zurückgekehrt. Wie kamen sie eigentlich bis zum Waschbecken hoch? Mussten sie dazu auf einen Stuhl steigen? So merkwürdige Fragen kamen mir in den Sinn.
    Falls ihr Buch einmal auf Englisch herauskäme, wollte ich es unbedingt lesen. Schon komisch, in ihrer Familie sah man die

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