Serenade für Nadja
meines Vaters und fuhren zum Markt in Yalıkavak. Es herrschten Frühlingstemperaturen, und nach der Kälte von Bad Arolsen, die mir am Vortag durch Mark und Bein gegangen war, erschien mir das unglaublich. Am Straßenrand blühten Ginster und Aloe. Es grünte alles um diese Jahreszeit.
Märkte sind eines der größten Freizeitvergnügen der Menschen, die auf der Halbinsel Bodrum wohnen. Jeden Tag wird irgendwo ein großer Markt mit Obst, Gemüse, Milchprodukten und Tuchwaren aufgebaut, am Dienstag etwa in Bodrum selbst, am Mittwoch in Gündoğan, am Donnerstag in Yalıkavak. Man kann Baumwollstoffe aus Buldan oder Stickereien aus Milas erstehen, wahre Wunderwerke der Handarbeit zu äußerst günstigen Preisen. Amerikanische Innenarchitekten decken sich hier ein und verkauften die Ware in Deko-Läden in Soho um das Fünfzigfache. Überall sieht man harmlose Hunde und Katzen herumschleichen, die sich manchmal mitten auf der Straße in die Sonne legen.
Nachdem wir unsere Einkäufe erledigt hatten, setzten wir uns in das Laubencafé, das mein Vater so liebte, und bestellten Tee und Pfannkuchen. Da klingelte mein Telefon, die Sekretärin des Rektorats war dran. Es sei ein Päckchen aus Amerika für mich eingetroffen, und was sie damit machen sollten. Ich bat sie, das Päckchen an die Adresse meiner Eltern zu schicken. Dann ging ich einige Schritte und rief Ahmet an.
»Wie geht es Kerem?«, fragte ich.
»Gut. Hör mal, das Ganze ist nicht gerade leicht für mich.«
»Nach dir frage ich nicht. Wie geht es ihm gesundheitlich?«
»Gut geht es ihm.«
»Geht er brav zur Schule?«
»Ja. Aber ich muss ihn immer hinbringen und abholen, weil es mit dem Schulbus hier nicht praktisch ist.«
Ich dachte mir: Geschieht dir gerade recht. Du musst auch mal lernen, was Verantwortung heißt.
»Ich ruf heute Abend noch mal an, dann rede ich mit Kerem«, sagte ich und legte auf.
Zufrieden streckte ich mich in der Mittagssonne aus. Dann ging ich auf den Textilmarkt. Obwohl bei meinen Eltern noch ein paar Sommersachen von mir herumlagen, kaufte ich mir vier T-Shirts, eine Jeans und zwei Shorts, alles perfekte Imitate bekannter Marken. Als ich in das Café zurückkam, wartete meine Mutter mit einer vermeintlich frohen Botschaft auf.
»Du, so ein Zufall. Wir kommen endlich wieder mal alle zusammen. Wäre es geplant gewesen, hätten wir es bestimmt nicht so hingekriegt.«
»Wieso, was ist, Mama?«
»Morgen kommt Necdet, mit seiner Frau. Übers Wochenende.«
»Und die wohnen bei euch?«
»Ach woher, natürlich bei den Militärs.«
In einer der schönsten Buchten Bodrums lag eine Fünfsterne-Militäranlage mit Hotel, Restaurant und eigenem Strand.
Mir passte der Besuch gar nicht, aber es ließ sich nichts daran ändern.
Am Nachmittag legte ich mich aufs Bett. Der Wind blähte sanft den Vorhang, und eingelullt vom Meeresrauschen schlief ich ein. Hätte meine Mutter mich nicht um fünf Uhr geweckt, hätte ich sicher noch lange weitergeschlafen. Es musste so viel angestaute Müdigkeit in mir stecken. Meine Mutter aber hielt es für einen großen Fehler, irgendeine Mahlzeit auszulassen, und holte mich an den Tisch, wo schon Käse, warme Simits und Tee auf mich warteten.
»Ich will doch nicht zunehmen, Mama.«
»Ach was. Ab morgen machst du Spaziergänge, da verbrennst du das locker wieder. Jung, wie du bist.«
Wie viele Millionen Mütter in diesem Land wohl so argumentierten?
Ich wollte mit meiner Mutter über meine Großmutter sprechen, aber dazu mussten wir allein sein. War mein Vater dabei, genierte ich mich, denn er ließ uns spüren, dass er über seine Mutter und über die Vergangenheit nicht gerne redete. Für ihn war das schmerzliche Kapitel ein für allemal abgeschlossen.
In vielen Familien war man stillschweigend übereingekommen, die nachfolgenden Generationen nicht mit den Schrecken der Vergangenheit zu belasten. So waren wir wie Kinder, die nicht im Hinterhof spielen durften, weil es dort von Schlangen und Skorpionen wimmelte. Die furchtbaren Ereignisse der jüngeren Geschichte waren unser gefährlicher Hinterhof.
Es ergab sich erst am Abend eine Gelegenheit zu einem Gespräch, als mein Vater schon zu Bett gegangen war. Meine Mutter und ich saßen auf dem Balkon und legten uns Jacken über die Schultern, denn es begann schon kühl zu werden.
»Mama, wie hat deine Mutter geheißen?«
»Na hör mal, Ayşe.«
»Nein, ich meine ihren richtigen Namen.«
Sie stockte.
»Ich weiß alles, Mama. Das Blaue Regiment, die
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