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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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sichtlich. Abrupt stand er auf.
    »Die Fragen stelle ich. Antworten Sie bitte!«
    »Ich verstehe nun mal nicht, warum Sie mich hier zu meiner Vaterlandsliebe befragen.«
    Der Mann hielt inne, sah kurz die beiden anderen an, dann setzte er sich wieder und drückte seine Zigarette aus.
    »Was stört Sie an meiner Frage?«
    »Ich finde sie falsch. Wie soll man messen können, ob der eine sein Land mehr liebt als der andere? Und warum versuchen manche, sich mit ihrer vermeintlich größeren Vaterlandsliebe Privilegien zu verschaffen?«
    Er stützte die Hand aufs Kinn und dachte ein wenig nach. Dann schnellte er hoch.
    »Nun gut, dann frage ich Sie eben etwas anderes«, sagte er in bedrohlichem Ton. »Sind Sie mit Ihrer Arbeit in der Universität zufrieden?«
    »Ja.«
    »In einer so wichtigen Einrichtung wie der Universität Istanbul arbeiten Sie eng mit dem Rektor zusammen. Sind Sie von Ihrer Vergangenheit her einer solchen Aufgabe würdig?«
    »Durchaus. Ich habe an dieser Universität studiert, ich habe die nötige Berufserfahrung, ich …«
    »Das meine ich nicht. Erzählen Sie doch mal von Ihrer Familie. Von Ihrer Großmutter zum Beispiel. Wie hieß sie? Semahat, oder?«
    Jetzt wusste ich endlich, worauf er hinauswollte.
    »Und Sie meinen also, damit bin ich keine türkische Staatsbürgerin?«
    Um seine Lippen spielte ein selbstsicheres Lächeln.
    »Nein nein, das behaupte ich nicht. Ich stelle lediglich eine Frage. Wissen Ihre Vorgesetzten Bescheid?«
    Ich gab keine Antwort, aber er ließ nicht locker.
    »Also, wissen sie Bescheid?«
    »Nein«, sagte ich mit erstickter Stimme.
    »Und haben Sie vor, es ihnen zu sagen?«
    »Nein.«
    »Tut mir leid, ich habe Sie nicht verstanden. Sie murmeln ja nur noch.«
    »Nein.«
    »Sehen Sie, daher meine Frage. Sind Sie bereit, Ihrem Vaterland zu dienen?«
    »Aber ich kann Ihnen doch gar nicht nützen.«
    »Das überlassen Sie nur uns.«
    Er redete daher, als ob der Staat mit allen seinen Bürgern ihm allein gehörte.
    »Was soll ich also für Sie tun?«
    Auf diese Frage hin ergriff der jüngste der drei Männer das Wort.
    »Sie haben neulich einen deutschen Professor abgeholt.«
    »Er ist Amerikaner, deutschstämmiger Amerikaner.«
    »Das wissen wir. Keine Sorge, wir wissen alles. Professor Wagner bleibt vier Tage in Istanbul und wird in dieser Zeit von Ihnen betreut, so ist es doch?«
    »Ja, das geht vom Rektorat aus.«
    »Der Dienst am Vaterland, den wir von Ihnen wollen, besteht darin, dass Sie uns alles mitteilen, was Wagner sagt oder tut.«
    Mit etwas Ähnlichem hatte ich schon gerechnet, aber dennoch war ich verdutzt.
    »Was wollen Sie von dem alten Herrn denn erfahren?«
    »Lassen Sie das unsere Sorge sein«, sagte der mit dem Schnurrbart. »Sie berichten uns einfach von allem, was er macht und tut, von seinen Telefongesprächen, von den Leuten, mit denen er sich trifft, von den Notizen, die er sich macht.«
    »Ich soll also spionieren.«
    »Jetzt übertreiben Sie mal nicht. Es geht nur um ein paar Informationen.«
    »Und wem soll ich die übermitteln?«
    »Darum kümmern wir uns schon. Sie brauchen nur Augen und Ohren aufzusperren. Nützen Sie also die Gelegenheit, Ihre Vaterlandsliebe unter Beweis zu stellen.«
    Dann gingen die drei Männer und ließen mich in größter Verwirrung zurück.
    Ich überlegte, wie sie wohl an das Geheimnis meiner Großmutter gelangt waren. Na ja, Kunststück, sie waren vom Nachrichtendienst, wie sollten sie da nicht Bescheid wissen? Aber von welchem Nachrichtendienst waren sie eigentlich, es gab ja mehrere.Das wusste ich von meinem Bruder Necdet, der war schließlich Unteroffizier beim Militärgeheimdienst.
    Ich ging in mein Büro zurück und lehnte mich ans Fenster. Eine Weile sah ich auf die jahrhundertealten Bäume hinaus, auf die Studenten, die mit oder ohne Regenschirm dahingingen, auf die aneinandergeschmiegten Liebespaare, die sich um den Regen nicht scherten. Es war fünf vor zehn.
    Ich hätte nun den Pressespiegel zusammenstellen sollen und die Artikel markieren, die eine Stellungnahme erforderten, aber so gern ich das sonst auch tat, nun hatte ich nicht die geringste Lust dazu. Ich fühlte mich unendlich mutlos. Dem Professor war ich irgendwie böse, weil er mich den ganzen Tag lang nicht bei sich haben wollte. Wozu wollte er überhaupt allein sein?
    Ich rief im Hotel an und fragte, ob Professor Wagner auf seinem Zimmer sei. »Ich verbinde Sie«, hieß es sogleich, dabei hatte ich das gar nicht verlangt. Als ich den Professor

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