Serenade für Nadja
schwöre dir, dass es ernst ist. Glaubst du, mit so was scherze ich? Ich stecke wirklich in etwas drin.«
Darauf wurde er ganz eifrig und notierte sich in ein Schulheft, was er im Internet suchen sollte.
»Du hast Augen wie meine Großmutter«, sagte ich.
»Na und?«
»Irgendwann erzähle ich dir mal, was für eine tolle Frau sie war.«
Er zuckte nur mit den Schultern.
Nach dem Essen gingen wir in das Kino im obersten Stock des Einkaufszentrums. Sieben Filme liefen dort.
»Such du einen aus«, sagte ich.
Er wählte einen, von dem gerade viel geredet wurde. Ich kaufte uns Popcorn und Cola. Wenn schon, denn schon.
Gegen Ende des Films musste ich weinen, wofür Kerem sich natürlich schämte, aber ich sah auch noch andere Frauen, die Tränen vergossen. Der Filmheld starb nämlich, um die geliebte Frau zu retten, und wir weinten wohl ganz einfach, weil solche Liebe aus der Mode gekommen war.
Anschließend gingen wir nach Hause. Kerem machte sich sofort an seine Nachforschungen.
»Morgen muss ich ganz früh aus dem Haus«, sagte ich. »Kommst du ohne mich zurecht?«
»Klar.«
»Ruf mich an, wenn irgendwas Besonderes ist, ja?«
»Musst du wegen dem Deutschen so früh weg?«
»Ja.«
»Und wo geht ihr hin?«
»Das weiß ich nicht. Er wollte es mir nicht sagen.«
»Hast du Angst?«
Das hatte ich zwar nicht, aber trotzdem sagte ich: »Ja.«
Schweigend sah er mich an, dann tippte er weiter.
»Gute Nacht«, sagte ich.
»Gute Nacht.«
Am liebsten hätte ich ihn von hinten umarmt, aber das wäre wohl zu viel des Guten gewesen.
Ich stellte den Wecker auf drei Uhr und legte mich schlafen.
5
Als ich aufwachte, merkte ich an meiner nassen Wange, dass ich im Traum geweint hatte. Der Wecker zeigte 2:35 an. Es war ganz ruhig in der Wohnung, Kerem schlief also wohl. Ich kroch wieder unter meine Bettdecke, um in den Traum zurückzukehren.
Im Schoß meiner Großmutter hatte ich oft so im Halbschlaf gelegen. Gerne dachte ich daran zurück, wie ihre runzlige Hand mir durchs Haar fuhr, wie herrlich ihr rosa geblümtes Baumwollkleid nach Seife duftete, wie die langen Zipfel ihres Kopftuchs mir über die Wangen strichen und sie mir leise Märchen erzählte.
Das alles erschien mir damals wie ein Traum, dabei war es Wirklichkeit. Ich schlief wohl tatsächlich, nahm aber jede Berührung und jedes Wort meiner Großmutter wahr.
Sie hatte sehr eindrucksvolle schwarze Augen. Ihr Mann, ein Postangestellter, war früh gestorben und hatte sie mit drei Kindern alleine gelassen, zwei Jungen und einem Mädchen. Das Mädchen war das jüngste Kind, der jüngere der beiden Söhne mein Vater.
Als Kind lebte ich zusammen mit meinen Eltern, meiner Großmutter und meinem acht Jahre älteren Bruder Necdet in einer Wohnung in Üsküdar, auf der asiatischen Seite Istanbuls.
Mein Vater war Bankangestellter, meine Mutter Lehrerin, so dass sich um den Haushalt und um mich vor allem meine Großmutter kümmerte.
Sonntags wurden wir Kinder mit einem Tablett zum Bäcker geschickt. Darauf waren entweder schon backfertige Pasteten oder irgendeine Füllung, für die der Bäcker erst einen Teig machte, bevor er das Ganze in den mit Holzkohle beheizten Ofen schob.
Fast alle Kinder des Viertels kamen dort am Sonntag zusammen.Mich riefen sie damals nicht einfach Maya, sondern verständlicherweise Biene-Maya, was mir nicht unrecht war, denn ich dachte ja auch, nach der Biene Maja benannt worden zu sein.
Ich liebte den Duft in der Bäckerei, das Mehlweiße überall, die langen Brotschieber. Wenn wir das Tablett abgegeben hatten, durften wir so lange draußen spielen, bis unsere Ware fertig war. Wir bekamen immer einen Zettel mit einer Nummer in die Hand und eine Uhrzeit gesagt. Wenn es so weit war, hielten wir das Tablett mit einem Tuch, um uns nicht zu verbrennen, und liefen damit nach Hause, ganz schwindlig von dem betörenden Geruch.
Ich sah wieder auf die Uhr, nun ging es auf drei zu. Ich musste schon langsam raus, stand aber noch ganz unter der Wirkung meines Traums. Und hatte keine Lust auf die kalte Istanbuler Nacht.
Wo wollte der Mensch um vier Uhr bloß hin? Und das ausgerechnet an einem Tag, an dem es selbst für Istanbuler Verhältnisse ungewöhnlich kalt war.
Im meinem Traum hatte meine Großmutter gesagt, wir würden in ein wassergeflutetes Gewölbe unterhalb der Hagia Sophia hinabsteigen, das seit fünfhundert Jahren niemand mehr betreten habe. Doch was sollten wir da um Himmels willen?
Ich schimpfte mit mir selber: Das hast du doch
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