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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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»Hello« sagen hörte, legte ich sofort auf.
    Sollte ich nicht einfach nach Hause abhauen? Keiner hätte es gemerkt. Schließlich war ich vom Rektor damit beauftragt, unseren Gast die Woche über zu betreuen, und niemand wusste, dass dieser einen Tag alleine sein wollte. Nur dass Süleyman unbeschäftigt war, hätte vielleicht Aufmerksamkeit erregt, aber dem konnte ich erzählen, dass der Professor in Beyo ğlu herumgehen wollte und wir in den engen Gassen dort das Auto nicht brauchen würden. Und in der İstiklal-Straße verkehrte ohnehin eine Straßenbahn.
    Plötzlich packte ich meinen Mantel und ging hinaus. Der Regen ging allmählich in Schnee über, und die feuchte Kälte ging mir durch Mark und Bein. Ich erwischte ein Taxi, und als der Fahrer sagte: »Die armen Obdachlosen und die armen Tiere!«, hätte ich am liebsten losgeweint.
    Daheim kam mir die trockene Heizkörperwärme paradiesisch vor. Ich riss mir die Kleider vom Leib und ging unter die Dusche. Ich weiß nicht, wie lang ich dort blieb, denn ich ließ mir all die Ereignisse der letzten Tage im Kopf herumgehen, aber als ich wieder herauskam, stand ich wie in einem Dampfbad. Ichschlüpfte in meinen Morgenmantel und kochte mir einen Tee. Die zwei Tassen schmeckten herrlich wie nie zuvor. Dann legte ich mich ins Bett und schlief auf der Stelle ein.
    Als ich aus tiefem, traumlosem Schlaf wieder erwachte, zeigte der Wecker 15:53 an, und ich hatte einen metallenen Geschmack im Mund. Mir fiel ein, dass ich gar nichts gegessen hatte, doch Appetit hatte ich noch immer keinen. Ich zog mich wieder an und machte mich in der Kälte auf den Weg zu Kerems Schule. In der marmornen Eingangshalle der Schule wartete ich auf das Klingelzeichen.
    Als es schellte, schossen die Schüler aus den Klassen heraus, als hätte man sie von der Kette gelassen. Nach einer Weile erblickte ich Kerem, der allerdings viel langsamer lief als die anderen. Als er mich sah, stutzte er und sah verunsichert um sich.
    »Hat dich die Schule angerufen?«, fragte er.
    »Ach was, ich wollte dich nur abholen.«
    »Und warum?«
    »Einfach so. Ich habe mir gedacht, wir machen was zusammen, Mutter und Sohn.«
    »Zum Beispiel?«
    »Erst mal was essen gehen, ein bisschen reden, und dann vielleicht ins Kino.«
    Er verzog das Gesicht.
    »Ach, lass doch, Mama. Ich will lieber nach Hause.«
    Mit »nach Hause« meinte er nichts anderes als seinen Computer. Den hatten wir seit etwa zwei Jahren, und zu Anfang hatte Kerem ihn nur für Spiele benutzt, von denen er ständig neue wollte.
    Was Kerem anging, störte mich nicht, dass er im Internet so viel Zeit verbrachte, sondern dass der Grund dafür seine Kommunikationsprobleme waren.
    »Aber du wolltest mir doch helfen«, sagte ich. »Ich stecke wirklich in der Tinte. Jetzt habe ich es mit Agenten zu tun.«
    »Echt?«
    »Wenn ich dir’s sage.«
    »Und wie soll ich dir da helfen?«
    »Du kannst schon mal im Internet für mich etwas suchen.«
    »Na, dann gehen wir doch nach Hause.«
    »Nein, erst müssen wir reden.«
    Jetzt hatte ich ihn endlich so weit, dass er mitkam.
    Wir gingen in ein Einkaufszentrum in der Nähe der Schule. In dem Bistro, in das wir uns setzten, standen riesige Töpfe mit ganzen Bäumen darin. Sogar eine Palme war dabei.
    »Ich nehme erst mal eine Suppe«, sagte ich, »und dann ein Lammkotelett und Rotwein dazu. Du nimmst doch das Gleiche, oder?«
    Ungläubig sah er mich an.
    »War doch bloß ein Scherz, du Dummkopf. Ich weiß auswendig, was du willst.«
    »Und was will ich?«
    »Eher so ausgefallene Sachen.«
    Erwartungsvoll sah er mich an.
    »So ausgefallen wie Hamburger, Pommes und Cola!«
    Da lachte er. Obwohl bald Monatsende war, gähnte in meiner Haushaltskasse noch kein Loch. Zum Sparen war ich aufgrund der Wirtschaftskrise nicht aufgelegt, sodass ich Lust hatte, es mir mal ein, zwei Monate lang einfach gutgehen zu lassen.
    In einer zärtlichen Aufwallung strich ich ihm übers Haar. Sofort wich er zurück und zog meine Hand weg.
    »Schon gut, schon gut«, sagte ich, »entschuldige. Wäre ja schade um das viele Gel. Ich tu’s nicht mehr.«
    Beim Essen erklärte ich ihm, was für Nachforschungen er betreiben sollte. Insbesondere sollte er sich über Professor Wagner erkundigen und herausfinden, was im Zweiten Weltkrieg die Universität Istanbul mit Deutschland zu tun gehabt hatte. Dann erzählte ich ihm von den Männern, die an die Uni gekommen waren.
    »Ist das alles ernst oder nimmst du mich auf die Schippe?«, fragte er.
    »Ich

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