Serenade für Nadja
ließ mich aber nicht abschrecken. Frierend drückte ich mich an ihn und versuchte wieder, ihn mit meinem Atem zu erwärmen. Er war so mager, dass ich seine Hüftknochen spürte.
Während ich so dalag, ging mir wieder durch den Kopf, was ich in den letzten Tagen erlebt hatte. Was hatte ich mir da nur eingebrockt?
Auf dem Meer waren keinerlei Schiffe, nicht einmal ein Fischerboot. Bei dem Wetter hätte man auch verrückt sein müssen, um hinauszufahren. Die Fischer saßen wohl in Şile irgendwo im Warmen, tranken Tee und reparierten ihre Netze.
Es war also unmöglich, dass der Professor dort irgendjemandem ein Zeichen gegeben hatte. Wozu aber hatte sich dann der Nachrichtendienst an seine Fersen geheftet? Warum befassten sie sich bloß mit einem so gebeutelten Menschen?
Warum, warum, warum?
Man konnte es drehen und wenden, wie man wollte, und fand doch keine Antwort darauf.
Immer wieder schweifte ich zu jenen kalten Nächten mit Ahmet zurück, und als seien das anstößige Gedanken, suchte ich sie gleich zu verdrängen. Doch was hatte das eine mit dem anderen zu tun?
Während ich den Professor wärmte, kam es mir vor, als ob ich selber immer kälter würde. Meine ganze Wärme ging wohl auf ihn über. Doch das war gut so. In Rücken und Becken des Mannes schien wieder etwas Leben zu kommen. Ich drückte mich noch fester an ihn.
So wie ich den Professor umschlungen hielt, spürte ich aber, dass er an der Vorderseite noch immer ganz kalt war. So glitt ich über ihn und schmiegte mich mit meinem Rücken an ihn. Und als er vorne warm wurde, hielt ich es wieder umgekehrt. Die Luft unter der Decke war inzwischen erträglich.
Irgendwann muss ich eingeschlafen sein. Ich erwachte wieder, als ich die Tür hörte. Draußen dämmerte es bereits. Süleyman trat ins Zimmer. Er wollte wohl berichten, dass das Auto repariert sei, doch als er uns so daliegen und noch dazu auf dem Stuhl meine Kleider sah, rief er nur aus: »Pfui Teufel!«
Und stürmte auch schon hinaus. Ich hörte noch, wie er im Gang schimpfte: »Schweinerei!« Dass ich ihm hinterherrief, ignorierte er. Kurz darauf war vor dem Motel das Brummen des Mercedes zu hören, das langsam leiser wurde und schließlich verstummte.
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, was Süleyman in der Uni erzählen würde. Und ich würde alle Not haben, um zu erklären, warum ich mich mit dem alten Professor ins Bett gelegt hatte. Mir war völlig klar, dass die meisten sich nicht um die Wahrheit kümmern, sondern mich lieber als ein perverses Weibsstück sehen würden. Aber für den Augenblick gab es Wichtigeres, denn wie würden wir von hier wieder fortkommen? Der Professor atmete zwar wieder regelmäßig, aber das Bewusstsein hatte er noch immer nicht erlangt. Er musste schleunigst in ein Krankenhaus.
Ich stand auf und zog mich an. In der Kälte merkte ich, wie warm es unter der Decke mittlerweile geworden war. Ich blickte auf mein Handy. Jetzt, da der Sturm nachgelassen hatte, hatte es wieder Empfang. Es waren zahlreiche Anrufe darauf eingegangen, alle von Kerem.
Nervös rief ich ihn an. Es war ihm doch hoffentlich nichts zugestoßen?
»Hallo Kerem, geht’s dir gut?«
»Die sind da!«, entgegnete er aufgeregt.
»Wer ist da?«
»Die Männer.«
»Welche Männer?«
»Na, du weißt schon, die drei, von denen du geredet hast.«
Mir zog sich alles zusammen.
»Ist der mit dem Schnurrbart auch dabei, Kerem?«
»Ja.«
»Gibst du ihn mir mal?«
Sobald der Mann »Hallo« sagte, redete ich auf ihn ein wie ein Maschinengewehr. Ich fragte, was ihm das Recht gebe, zu mir nach Hause zu kommen und mit meinem Sohn zu sprechen. Als ich fertig war, erwiderte er: »Tja, von Ihnen haben wir ja keine Informationen bekommen. Da haben wir uns gedacht, wir statten Ihnen einen Freundschaftsbesuch ab.«
»Verlassen Sie sofort meine Wohnung!«
»Erzählen Sie uns doch erst mal, was Sie so gemacht haben.«
»Gar nichts haben wir gemacht. Verlassen Sie meine Wohnung!«
»Gar nichts haben Sie gemacht? Wozu sind Sie dann so weit gefahren?«
»Wohin soll ich gefahren sein?«
»Na, nach Şile.«
Ich konnte es nicht fassen.
»Woher wissen Sie das?«
»Ihr Handy.«
Ich Dummkopf. Sie waren vom Nachrichtendienst.
»Ich will mit meinem Sohn sprechen.«
Sie gaben ihm den Hörer.
»Hast du Angst, Kerem?
»Nein, gar nicht. Das ist sogar lustig.«
»Na schön. Ich bin gerade außerhalb von Istanbul.«
»Ich hab’s gehört. In Şile.«
»Das erzähle ich dir später. Ich kann jetzt nicht
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