Serenade für Nadja
Besitzer.«
»Und wo ist er?«
»In Istanbul. Er kommt im Sommer.«
Im Befehlston sagte ich: »Du sperrst uns jetzt ein Zimmer auf. Das Geld dafür kriegst du. Wenn du das nicht tust, wird dir Abdullah erst recht böse sein.«
Nach kurzem Zögern ging er zu einem Tisch, und ich hörte ihn in der Schublade nach seinem Schlüssel kramen.
Gemeinsam mit Süleyman hievte ich den Professor, den wir auf einem Stuhl abgesetzt hatten, wieder hoch. Mit großer Mühe brachten wir ihn in den ersten Stock hinauf. Der Junge sperrte ein erbärmliches Zimmer auf. Ein großes Bett, zwei klobige Nachtkästchen, an der Wand ein gesprungener Spiegel, das war alles. Wir legten den Professor auf das Bett und deckten ihn zu.
»Meinen Sie, Sie bringen das Auto wieder in Gang?«, fragte ich Süleyman.
»Nicht ohne einen Mechaniker. Vielleicht müssen wir auch abgeschleppt werden«, sagte er. Und zu dem Jungen gewandt: »Fahren hier Sammeltaxis nach Şile?«
Der Junge machte eine undeutliche Geste.
»An der Hauptstraße. Manchmal.«
»Dann fahre ich jetzt nach Şile und komme mit einem Mechaniker zurück.«
Verzagt sah ich ihn an.
»Und wenn er es nicht schafft«, fuhr er fort, »lasse ich einen Abschleppdienst kommen. Irgendwie kriegen wir die Karre schon wieder hin.«
»Ach je, wie lang kann denn das dauern?«
»Na, so drei, vier Stunden. Bestenfalls.«
»Wenn mir nur der Mann hier nicht stirbt inzwischen. Können wir nicht aus Istanbul jemand holen?«
»Das hat keinen Sinn«, entgegnete er so ruppig, als sei ich an allem schuld. »Das würde noch länger dauern.«
»Dann beeilen Sie sich.«
Beim Hinausgehen sagte der Junge: »Ich komme auch mit.«
So blieb ich mit dem Professor allein zurück. Hektisch steckte ich den Rand der Decke unter die Matratze, um nur ja keinen Zwischenraum freizulassen. Aber die Decke, der Mantel, das Gesicht des Professors, alles war so kalt, dass Zudecken alleine nichts half. So deckte ich den Professor wieder auf und zog ihm Mantel, Jackett, Pullover, Schuhe und Hose aus.
Dabei merkte ich, dass das Laken, auf dem er doch schon eine Weile lag, noch immer genauso eiskalt war. Ich brachte ihn in Seitenlage, drückte ihm die Knie in Richtung Brust und den Kopf ein wenig nach unten, damit er zusammengekrümmt dalag. Dann deckte ich ihn wieder zu.
Mir fielen die Winternächte ein, die Ahmet und ich in unserer ersten Wohnung verbracht hatten. Wir hatten dort im Schlafzimmer keinen Ofen und gingen immer bibbernd ins Bett. Zwar machten wir eine Weile vor dem Schlafengehen schon immer die Schlafzimmertür auf, doch Laken und Bettdecke waren immer kalt. So kuschelten wir uns ganz eng zusammen und deckten uns fest zu, und schon bald begann die so eingeschlossene Luft sich zu erwärmen.
Ich kontrollierte noch einmal, ob der Professor auch wirklich gut zugedeckt war, aber alles, was ich dabei berührte, war wie Eis. Der Mann hatte keinerlei Wärme mehr in sich, wie sollte er da die Luft unter der Decke erwärmen. Ich musste schnell irgendetwas tun, sonst konnte es zu spät sein. Schließlich war ich verantwortlich für ihn. Ich hatte im Namen der Universität für sein Wohl zu sorgen. Falls er hier vor meinen Augen starb, was sollte ich dann dem Rektor sagen? Ein solcher Skandal konnte den Rektor sein Amt kosten.
Ohne zu zögern, zog ich mich bis auf die Unterwäsche aus, lüpfte die Decke und stieg schnell ins Bett. So wie man schnell ins kalte Meer steigt, weil es langsam noch viel mehr Überwindung kostet.
Es war so kalt, dass mir schwindlig wurde. Ich hatte schon Angst, in Ohnmacht zu fallen. Mir schlugen die Zähne aufeinander, aber ich konnte nichts dagegen tun. Ganz eng drückte ich mich von hinten an den Professor.
Die Zähne taten mir vom ständigen Klappern allmählich weh.
Irgendwann aber begann es erträglich zu werden, so dazuliegen. Was ich da tat, brachte zumindest mir etwas. Der Professor dagegen schien sich überhaupt nicht aufzuwärmen.
Ich ärgerte mich, dass ich nicht gleich darauf gekommen war, ihm auch das Unterhemd auszuziehen. Das holte ich nun eilig nach. Der knochige Körper des Professors war ganz violett.
Wenn doch diese Decke nur dicker wäre, dachte ich. Ich blickte umher, doch außer dem Mantel fand ich nichts, was noch von Nutzen gewesen wäre. So drehte ich den Professor wieder auf die Seite, schlüpfte schnell wieder ins Bett und schmiegte mich an ihn.
Mein bis auf die Unterwäsche nackter Körper schien eine Eisfläche zu berühren. Ich zuckte kurz zurück,
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