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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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da fallen Späne.«
    »Was du Späne nennst, das sind deine Großmütter. Wenn deinen Kindern so was zustoßen würde, wärst du dann genauso gefühllos? Empfindest du kein bisschen Empathie?«
    »Empathie, das ist auch wieder so ein Modewort. Anstatt für alles und jeden Empathie zu fühlen, solltest du ein bisschen Sympathie für dein eigenes Volk haben.«
    »Du hast doch selber gesagt, dass es zusammengewürfelt ist.«
    »Wir haben eine neue Nation gegründet, unter Gott weiß was für Schwierigkeiten. Und die lassen wir uns von diesen Intellektuellen nicht kaputtmachen.«
    »Ach, Necdet, wenn unsere Großmütter noch lebten, würdest du ihnen das ins Gesicht sagen? Unser Großvater Ali war vielleicht nur ein einfacher Soldat, aber ein viel besserer Mensch als du.«
    »Jetzt gehst du aber zu weit, Maya!«, rief mein Bruder und schlug mit der flachen Hand auf das Tischchen zwischen uns.
    »Von wegen, ich gehe noch gar nicht weit genug. Weißt du, was der Hauptunterschied zwischen uns beiden ist? Wenn du Menschen anschaust, dann siehst du nur Uniformen, Fahnen und Religionen.«
    »Ach ja? Und was siehst du?«
    »Menschen, nichts als Menschen. Menschen, die lieben und leiden und frieren und Angst haben.«
    Als mich der junge Offizier, der draußen gewartet hatte, zum Tor zurückbrachte, stand ich noch ganz unter dem Eindruck der Dinge, die ich gehört hatte, aber noch mehr beschäftigte mich, was ich auf dem Schreibtisch meines Bruders gesehen hatte, eine gelbliche Akte nämlich, mit einem roten Stempel darauf, »STRENG GEHEIM«. Darunter stand: »MAXIMILIAN WAGNER«.

8
    Ich nahm mir vor, zu Hause als Erstes aus dem Familienalbum ein Foto von Großvater Ali und seiner Frau herauszuholen und es in einem Rahmen aufzuhängen. Die Geschichte der beiden hatte mich erschüttert. Warum wussten wir nichts von diesen Ereignissen? Warum hatte ich noch nie etwas von dem Blauen Regiment gehört? Wenn es ums Unterdrücken ging, bekam in diesem Land also jeder etwas ab, ob Türke, Armenier, Kurde, Grieche oder Jude.
    Der Verkehr wälzte sich zäh dahin. Jenseits der breiten Straße standen Wolkenkratzer, wie sie in Istanbul immer mehr in Mode kamen. Die Sonne spitzte nur ab und an zwischen den Wolken hindurch, aber wenigstens war es nicht kalt. Ich stieg in ein Taxi und gab als Fahrtziel die medizinische Fakultät an.
    Wie würden sie mich wohl an der Uni empfangen? Mit was für Sanktionen hatte ich zu rechnen? Mit einer Entlassung? Hatten jene Männer dem Rektor von meiner armenischen Großmutter erzählt? Wusste der Rektor über Professor Wagner und über das Ziel seines Besuchs hier Bescheid? Und über das Verbrechen, von dem Necdet gesprochen hatte?
    Während ich im Taxi saß, hörte ich es draußen donnern. Wahrscheinlich würde bald wieder ein Schneeregen niedergehen. Als wäre es im Winter in Istanbul nicht ohnehin schon feucht genug, würden wir uns wieder alle fühlen, als seien wir in nasse Handtücher gewickelt.
    Wir fuhren durch den Haupteingang des Krankenhauses auf die Innere Abteilung zu. Die Wege waren voller Patienten und Krankenschwestern, die über den weißen Kitteln braune Umhänge trugen. Im Gebäude selbst ging es genauso geschäftig zu. Die meisten Patienten schienen ärmeren Gesellschaftsschichtenanzugehören. Sie saßen auf Bänken oder kauerten an der Wand und warteten geduldig, bis sie an der Reihe waren.
    Mit dem geräumigen Aufzug fuhr ich in den dritten Stock und fragte die Schwester am Empfang nach Filiz. Es hallte im Korridor, als »Doktor Filiz Ünaldı« ausgerufen wurde. Überall roch es nach Medikamenten. Bald sah ich Filiz mit schnellen Schritten auf mich zukommen. Wir umarmten uns, dann lud sie mich in ihr Büro ein und bot mir Tee an.
    Sie versuchte aus mir herauszukitzeln, wer Professor Wagner genau sei, doch beließ ich es dabei, ihn als speziellen Gast des Rektors zu bezeichnen.
    Auch in der weißen Arztkleidung mit dem Namensschild am Kragen sah Filiz elegant aus wie immer. Sie hatte ein ausnehmend hübsches Gesicht, echt blonde Haare, und wie bei allen Türken thrazischer Abstammung war bei ihr der Kopf im Verhältnis zum Körper relativ klein. Bei Wagner war dieses Verhältnis ebenso.
    »Wie geht es ihm?«, fragte ich.
    »Die Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen, aber sein Zustand ist gut. Er hat auch schon gefrühstückt. Atmung, Puls und Blutdruck sind normal. Nur noch ein bisschen Fieber hat er, und der Bericht über die Lungenaufnahmen wird gerade geschrieben.«
    »Es

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