Serenade für Nadja
freut mich, dass es ihm gutgeht«, sagte ich. Irgendwie hatte der Mann es mir angetan.
»Seit heute Morgen fragt er schon nach dir«, sagte Filiz schmunzelnd. »Als würde alles schiefgehen, solange du nicht bei ihm bist. Schon erstaunlich, wie du ihn innerhalb von ein paar Tagen an dich gebunden hast. Wäre er ein paar Jährchen jünger, dann würde ich sagen …«
»Ach, hör auf mit dem Unsinn. Ich habe schon Dutzende solcher Gäste betreut. Kann ich jetzt zu ihm?«
»Du hast deinen Tee noch gar nicht getrunken.«
»Mir ist gerade nicht danach. Gehen wir lieber.«
Mir fiel auf, wie unbeeindruckt sich Filiz draußen im Gang ihren Weg durch die Patienten und ihre Angehörigen bahnte, obwohlsie als Ärztin von diesen anstarrt wurde wie ein höheres Wesen.
Wir betraten das Zimmer Nummer 344, von dem man auf den Garten hinaussah. Im mittleren Bett lag Maximilian Wagner. Er hatte ein Krankenhemd an, und sein Arm hing am Tropf. Ein wenig bleich und zerzaust wirkte er, doch bei meinem Anblick strahlte er.
»Da sind Sie ja«, rief er aus. »Ich hatte schon Angst, ich würde Sie gar nicht wiedersehen.«
Ich lächelte.
»Warum das denn, Herr Professor?«
»Ich dachte, Sie sind mir böse, weil Sie so viel Ärger mit mir haben.«
»Ach woher, ich bin Ihnen nicht böse, ich habe nur nicht verstanden, was da eigentlich los war.«
Filiz musste nach anderen Patienten sehen und verabschiedete sich, sodass ich mit dem Professor allein im Zimmer blieb. Ich rückte mir einen Sessel ans Bett, damit wir uns besser ansehen konnten.
»Wie fühlen Sie sich jetzt?«
Mit etwas schwacher Stimme erwiderte er: »Ganz gut eigentlich. Ich habe die ganze Nacht geschlafen.«
»Und den ganzen Tag auch.«
»Ja, ich erinnere mich vage«, sagte er verlegen. »In diesem Motel, nicht wahr? Als ich wach wurde, war ich halbnackt.«
»Ja.«
»Habe ich Sie schon gefragt, ob Sie mich ausgezogen haben?«
»Ja, und ich habe gesagt, dass ich es war.«
»Ich muss Sie um Verzeihung bitten.«
»Das müssen Sie überhaupt nicht. Es war nur so, dass Sie sonst wohl erfroren wären.«
»Höchstwahrscheinlich. Sie haben mir das Leben gerettet.«
Es entstand ein peinliches Schweigen. Unsere Blicke wichen sich aus. Ich rückte auf meinem Sessel herum, und schließlich sagte ich: »Dann gehe ich mal wieder, Herr Professor. Aber ich komme später wieder.«
»Nochmals vielen Dank. Aber eine Frage hätte ich noch.«
»Ja, bitte?«
»Wissen Sie, wo meine Geige ist?«
Ich musste nachdenken.
»Ich habe sie aufgehoben, und als wir Sie zum Auto geschleppt haben, hatte ich sie in der Hand. Nein, Moment, Sie hatten sie in der Hand. Also muss sie noch im Auto sein.«
»Es wäre nett, wenn Sie sich um die Geige kümmern könnten.«
»Keine Sorge, ich hole sie und bringe sie an einen sicheren Ort. Und wenn Sie hier herauskommen, bringe ich sie Ihnen.«
Als ich schon an der Tür war, hörte ich den Professor sagen: »Gestern ist etwas Seltsames geschehen.«
Ich wandte mich um.
»In meinem Traum war Nadja bei mir und hat mich umarmt. Ich spürte sie, und sogar ihren Duft habe ich gerochen.« Er wandte den Kopf zum Fenster. »Als wären all die Jahre gar nicht vergangen. Sie war noch ganz jung, und ihr Körper hat mich gewärmt. Und ich glaube, sie hat mich auf die Schulter geküsst.«
»Herr Professor, wer ist diese Nadja?«
Er drehte sich zu mir um und sah mich lange an. Dann sagte er: »Das erzähle ich Ihnen bald, denn Sie haben es verdient.«
Ich ging hinaus und schloss leise die Tür hinter mir. Da Filiz nirgends zu sehen war, ging ich in den Garten hinaus und spazierte dort versonnen herum. Es war schon ein seltsames Gefühl, für eine Nadja gehalten zu werden, von der ich nicht einmal etwas wusste. Und mindestens ebenso seltsam war es, dass ich den halbnackten Körper eines fremden Mannes umarmt hatte.
Ich war bis dahin mit zwei Männern ins Bett gegangen: mit meinem Ehemann Ahmet und mit Tarık. Professor Wagner war nun der dritte, und was ich dabei empfunden hatte, hatte mit Sexualität nichts zu tun. Den Rücken dieses Mannes an meinem Körper zu spüren, seine Hüften, seine Beine, seine Brust, hatte mich mit großer Zärtlichkeit erfüllt. Was Süleyman so entsetzt hatte, war wohl einer der aufrichtigsten Augenblicke meines ganzen Lebens gewesen. Mir war, als hätte ich noch immer den Duftan mir, der von dem weißen Körper ausging. Seine seidigen Haare streichelten mir dabei übers Gesicht. Und ich begriff nicht, wie die Zeit so schnell
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