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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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vergangen war. Konnte man einen Menschen drei, vier Stunden lang ununterbrochen umarmen? Bis gestern hätte ich das noch verneint, nun aber wusste ich, dass man das durchaus konnte, und noch dazu voller Freude. Und wenn ich schon dabei bin, kann ich auch zugeben, dass ich die Schulter des Mannes immer wieder mit warmen Küssen bedeckte.
    Mit meinen bisherigen Bettpartnern hatte ich zwar Sexualität erlebt, aber nicht dieses Innige. Es war mit ihnen die Vereinigung zweier fremder Körper gewesen, die einander nicht recht vertrauen. Höchste Lüste hatte ich bei den beiden, die ihre Männlichkeit beweisen wollten, auch gar nicht erfahren.
    Ich ging zurück zum Ausgang. Wohl oder übel musste ich nun an die Uni, es ließ sich nicht länger hinausschieben. Wieder nahm ich ein Taxi. Seit Tagen gab ich ein Heidengeld für Taxifahrten aus, aber ich hatte keine andere Wahl.
    Bis ich in meinem Büro ankam, verhielt sich niemand im Rektoratsgebäude mir gegenüber irgendwie auffällig. Von Teekoch Hasan, Professorin Suna und Rektoratsassistent Suat wurde ich so freundlich gegrüßt wie sonst auch immer. Nichts fiel aus dem Rahmen. Ich ging die Zeitungen und Papiere durch, die sich auf meinem Schreibtisch stapelten, dann rief ich die Sekretärin des Rektors an, um mich anzumelden. Und o Wunder, selbst diese unwirsche Person ließ keinerlei Bemerkung fallen. Als ich an ihrem Schreibtisch vorbeiging, lächelte sie sogar.
    Der Rektor telefonierte gerade und wies mir mit einer Geste einen Sessel zu. Er war Medizinprofessor, achtundfünfzig Jahre alt. Ein dicker, freundlicher Herr mit Halbglatze, der hohes Ansehen genoss, nicht nur wegen seiner fachlichen Qualitäten als Chirurg, sondern auch als Lehrer und als Mensch. Auch ich mochte ihn gern. Er war zu mir genauso höflich wie zu jedermann. Zu seinem beigen Anzug trug er eine geschmacklose, blaugelb gestreifte Krawatte, die wie immer viel zu lose saß. Als er aufgelegt hatte, wandte er sich mir zu.
    »Na, wie läuft es mit dem Professor?«
    »Er ist leider erkrankt. Ich habe ihn in die medizinische Fakultät bringen lassen.«
    Erschreckt erhob er sich.
    »Es ist aber nichts Schlimmes«, beruhigte ich ihn. »Nur eine schwere Erkältung. Wegen seines Alters wollte ich auf Nummer sicher gehen.«
    Sogleich setzte er sich schwerfällig hin.
    »Das war richtig so. Wie geht es ihm jetzt?«
    »Ziemlich gut. Allerdings weiß ich noch nicht, wann er entlassen wird. Seine Rückkehr kann sich dadurch verzögern. Normalerweise wäre er morgen zurückgeflogen, aber ich denke, dass er noch ein paar Tage bleiben wird.«
    »Das macht nichts. Hauptsache, es geht ihm gut. Vor dem langen Flug soll er sich lieber ausruhen.«
    »Da wäre noch etwas …«
    »Ja, was denn?«
    »In den letzten Tagen bin ich wegen des Professors viel mit dem Taxi gefahren …«
    Er begriff gleich, worauf ich hinauswollte.
    »Ja, stimmt. Süleyman hat den Mercedes in die Werkstatt gebracht, und diesmal wird es anscheinend länger dauern. Ich habe gesagt, sie sollen ihn so lange behalten, bis alles in Ordnung ist, denn in letzter Zeit haben wir genug Ärger damit gehabt.«
    »Es ist ja auch ein furchtbar altes Auto, fast ein Oldtimer. Lassen Sie doch ein neues anschaffen.«
    »Da ist schon was dran. Wir hätten genug Geld, aber ich bin trotzdem vorsichtig mit so etwas. Geredet würde ja doch. Wissen Sie, es ist heikel mit einem solchen Amt. Ich habe noch zwei Jahre vor mir, die möchte ich in Ruhe hinter mich bringen. Fragen Sie beim Kanzler nach, der soll Ihnen ein Auto besorgen.«
    »Vielen Dank. Sehr verständnisvoll.«
    Ich hatte beim Hinausgehen schon einen Flügel der Polstertür geöffnet, als er mir hinterherrief.
    »Ach, fast hätte ich es vergessen. Ich habe schon keinen Kopf mehr vor lauter Arbeit. Kommen Sie bitte noch mal.«
    Er nahm von seinem Schreibtisch einen dicken, verzierten Umschlag.
    »Heute Abend gibt das britische Konsulat einen Cocktail-Empfang, und da ich schon einen anderen Termin habe, müssen Sie mich vertreten.«
    Ich nahm den Umschlag an mich.
    »Aber es wäre doch angemessener, wenn einer Ihrer Vertreter dort hingeht?«
    »Im Grund genommen schon, aber als ich dem Konsulat abgesagt habe, hat man ausdrücklich nach Ihnen gefragt.«
    »Nach mir?«
    »Ja, nach Ihnen persönlich.«
    »Aber die kennen mich doch nicht. Da muss ein Irrtum vorliegen.«
    »Nein, ganz bestimmt nicht«, sagte der Rektor. Er deutete auf den Umschlag und sagte: »Abendgarderobe steht da. Sie machen das schon.«
    Als ich

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