Serenade für Nadja
das Büro verließ, war ich völlig verblüfft. So etwas war mir noch nie passiert. Natürlich wurde der Rektor oft irgendwo eingeladen, aber wenn er verhindert war, vertrat ihn immer jemand aus seiner Liga. Warum sollte jemand nach einer kleinen Angestellten verlangen?
In meinem Büro öffnete ich den kalligraphisch beschrifteten Umschlag. Unter dem Wappen des Vereinigten Königreichs wurde höflichst um ein Erscheinen bei einem um 19.30 Uhr beginnenden Empfang gebeten. Ganz unten hieß es »black tie« und »evening wear« . Was sollte ich bloß bei einem Empfang, wo ich niemanden kannte und auch nicht wusste, wie ich mich zu verhalten hatte?
Eigentlich hätte ich an der Uni Spott und Ausgrenzung erwartet, und nun so etwas. Da hatte wohl Süleyman noch nichts gesagt. Natürlich nur vorläufig. Wer weiß, was er im Schilde führte. Wollte er mich etwa erpressen? Zuzutrauen war es ihm.
Lange bliebe ich an meinem Schreitisch sitzen. Dann sprang ich auf. Bis zum Abend war noch so viel zu erledigen, und es war schon drei Uhr vorbei. Als Erstes ging ich zum Kanzler der Uni und bat um ein Fahrzeug für einen persönlichen Gast des Rektors.Der Mann grinste wie immer und starrte mir dabei auf den Busen. Viele Männer taten das möglichst unauffällig, ihm dagegen bereitete es anscheinend besonderen Spaß, es ganz offen zu tun. Ich ging darüber hinweg.
»Ich habe es eilig«, sagte ich nur.
Er rief jemanden an, und als ich zehn Minuten später das Gebäude verließ, wartete schon ein blauer Ford Focus auf mich, mit İlyas als Chauffeur, einem angenehmen Menschen, der mich schon ein paarmal gefahren hatte.
»Bringen Sie mich bitte gleich heim, İlyas, nach Levent.«
Es war noch lange vor der Stoßzeit, und wir kamen zügig durch, doch als İlyas gerade eine genauere Wegbeschreibung wollte, überlegte ich es mir anders und gab ihm eine andere Adresse an.
Mehmet staunte, mich zu Bürozeiten zu sehen, freute sich aber. Ich verstand mich gut mit meinem schwulen Friseur.
»Ich hab’s ziemlich eilig. Heute Abend muss ich zu einem Empfang in einem Konsulat.«
»Na, da stecke ich Ihnen die Haare am besten hoch, Maya.«
»Wie Sie meinen. Ich habe volles Vertrauen.«
In dem Salon voller Frauen, die sich maniküren, pediküren oder sich die Haare färben ließen, war ich so ziemlich die einzige Nichtblondine.
Ein Lehrling drehte meinen Stuhl herum, neigte mir den Kopf nach hinten und wusch mir sanft massierend die Haare.
Während ich frisiert wurde, trank ich einen Kaffee und rief Filiz an, die mir mitteilte, dem Professor gehe es gut. Er solle noch einen Tag unter Beobachtung bleiben und am folgenden Tag entlassen werden.
Mehmet brachte wirklich eine herrliche Frisur zustande, aber am Hals fühlte ich mich damit etwas nackt. Na ja, wozu habe ich meine Kette, dachte ich, als ich wie die Gattin irgendeines Neureichen auf das wartende Auto mit Chauffeur zuging.
Zu Hause saß Kerem wie üblich vor dem Computer, aber mit einer ganz anderen Miene als sonst. Auf dem Drucker stapelte sich das Papier.
»Schau mal«, sagte Kerem, »wusstest du, dass Einstein an Atatürk mal einen Brief geschrieben hat?«
»Nein, aber was hat das mit uns zu tun?«
»Mit uns nichts, aber mit Maximilian Wagner.«
Ich staunte. Was mein Sohn doch alles zutage förderte. Ich versprach ihm, nach meiner Heimkehr alles zu lesen, dann servierte ich ihm die mitgebrachte Pastete und ging unter die Dusche, wo ich sehr auf meine Frisur aufpassen musste. Danach schlüpfte ich in das schwarze Kleid, das ich bei dem Abendessen mit Wagner getragen hatte. Nachdem ich geschminkt war und die Kette meiner Großmutter um den Hals hatte, war ich mit meinem Aussehen nicht unzufrieden.
»Mama, du siehst aus wie die Frauen in den Fernsehshows«, sagte Kerem, was zu meiner guten Laune nicht wenig beitrug, denn von meinem Sohn war ich Komplimente nun wirklich nicht gewöhnt.
»Mach nicht mehr zu lange«, mahnte ich. »Ich komme sowieso mit dem Lesen nicht nach. Lern lieber ein bisschen, oder schau fern.«
Er rieb sich die Augen. Wenn er nicht protestierte, musste er wirklich müde sein. Als er sich träge vorbeugte, um den Computer auszumachen, fiel ihm anscheinend etwas ein, denn er griff gezielt zu ein paar Blättern, die etwas abseits lagen.
»Da, schau mal, das habe ich über das Schiff gefunden.«
Es klang vielversprechend, was da auf der ersten Seite stand:
Geheim
INNENMINISTERIUM
GENERALDIREKTION FÜR SICHERHEIT
Aktenzeichen: 55912-S / 13. September
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