Serenade für Nadja
meinen Champagner verschüttet.
Als hätten die Türken nicht schon genügt, waren jetzt auch noch die Engländer hinter ihm her. Dieser junge Attaché war vielleicht ein Spion. Allein schon wie er hieß: Brown.
»Was gibt es über Professor Wagner zu reden?«
»Na, was er so macht, warum er in Istanbul ist.«
»Und warum soll ich Ihnen das erzählen?«
»Sie müssen natürlich nicht. Das ist hier nur eine Cocktail-Unterhaltung.«
»Er hält an unserer Universität einen Vortrag. Das ist alles.«
Er zog eine Augenbraue hoch.
»Nicht ganz alles«, sagte er.
»Doch. Mehr weiß ich jedenfalls nicht.«
»Was haben Sie dann gestern in Şile gemacht?«
Der wusste also auch über Şile Bescheid. Und wir hatten gedacht, wir wären ganz allein.
»Jetzt möchte ich Sie mal was fragen«, sagte ich. »Warum ist dieser Mann so wichtig?«
Zum ersten Mal sah er mich ernst an.
»Es ist besser, wenn Sie das nicht wissen.«
Mir war sofort klar, dass ich nicht mehr aus ihm herausbringen würde. Von seinen eindringlichen Fragen hatte ich Kopfschmerzen bekommen, und die hochgesteckten Haare und der Alkohol taten ein Übriges.
»Sie entschuldigen mich bitte. Ich werde jetzt gehen. Auf Wiedersehen.«
»Ich bringe Sie hinaus.«
Matthew Brown half mir in den Mantel und begleitete mich bis zum Auto.
»Mrs. Duran«, sagte er, bevor ich einstieg, »wenn Sie uns über die Aktivitäten dieses Mannes informieren, erweisen Sie damit der britischen Regierung einen großen Dienst und gewinnen unsere Freundschaft.« Als ich ihn nur wortlos ansah, sprach er weiter. »Sie wissen ja, dass man Freunde immer brauchen kann. Meine Karte haben Sie. Rufen Sie mich bitte an.«
Mit einem türkischen »Güle güle« verabschiedete er sich und schloss hinter mir die Wagentür.
Wir mischten uns ins bunte Gewimmel des Istanbuler Abendverkehrs. Ich löste meine Haare und zog die hochhackigen Schuhe aus. Dann öffnete ich das Autofenster und hielt das Gesicht an die frische Luft. Die ganze Sache überstieg langsam mein Fassungsvermögen, und niemand stand mir zur Seite, weder mein Bruder noch ein Ehemann oder der Rektor oder irgendein Freund. Einzig und allein ein vierzehnjähriger Junge, der am Computer Informationen für mich suchte.
Am liebsten hätte ich natürlich mit Wagner selbst über das alles gesprochen, aber im Krankenhaus war das nicht möglich.
Ich hatte genug von der Geschichte. Nun blieb mir aber nichts übrig, als durchzulesen, was mein Sohn für mich ausgedruckt hatte. Ich rieb mir die Schläfe, um den Kopfschmerz zu lindern.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte İlyas.
»Machen Sie sich keine Sorgen, ich habe nur ein bisschen Kopfweh.«
»Soll ich eine offene Apotheke suchen?«
Dieser İlyas gehörte zu den guten Menschen und war so ganz anders als Süleyman.
»Nein danke, daheim habe ich was. Lieb von Ihnen.«
»Aber ich bitte Sie.«
Zu Hause saß Kerem noch immer am Computer.
»Mensch, Mama, da gibt es zig Informationen.«
»Ich brauche bestimmt nicht alles, Kerem. Es genügt schon, wenn wir herauskriegen, wer dieser Wagner ist.«
»Wo ist er jetzt?«
»Im Krankenhaus. Er hat eine schwere Erkältung und muss behandelt werden.«
»Und wann fliegt er nach Amerika zurück?«
»So in zwei Tagen wahrscheinlich. Warum?«
»Ich habe eine Bitte.«
»Als Gegenleistung für deine Arbeit?«
»Nein, aber wo wir uns so mit dem Mann beschäftigen, würde ich ihn gern kennenlernen, bevor er wieder fliegt.«
Ich war verblüfft.
»Und warum?«
»Weil ich noch nie jemanden so Wichtigen gesehen habe.«
»Woher weißt du denn, dass er wichtig ist?«
»Ach, Mama! Wenn er nicht wichtig wäre, warum wären dann so viele Agenten hinter ihm her? Er muss selber der größte Agent sein.«
Der größte Agent … Ich ging in die Küche, holte zwei Alka Seltzer aus dem Schrank und sah zu, wie sie sich im Wasser auflösten. Ich dachte an Matthew Brown. Der hat mir gerade noch gefehlt. Der Regierung ihrer Majestät sollte ich helfen. Ausgerechnet ich. Und was wollten sie für mich tun? Mir Geld geben? Einen neuen Job? Meinem Sohn ein Studium in England ermöglichen? Das wäre vielleicht gar nicht so schlecht. Ich entlockte dem Professor ein paar Sätze, traf mich dann mit Matthew zum Abendessen, und schon standen wir unter den Fittichen der Königin. Mir fiel der Spion Cicero wieder ein, von dem der Professor erzählt hatte. Vielleicht würden sie ja auch mich mit Falschgeld abspeisen.
Eine heiße Dusche und die beiden Alka Seltzer taten
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