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Serenade für Nadja

Serenade für Nadja

Titel: Serenade für Nadja Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livanelli
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ihre Wirkung. Als ich mich abtrocknete, ertappte ich mich sogar dabei, leise zu pfeifen. Verwundert stellte ich fest, dass es die Melodie war, die der Professor am Strand gespielt hatte. Er hatte sie so oft wiederholt, dass sie sich in meinem Gedächtnis festgesetzt hatte. Da, wo er immer aufgehört hatte, blieb natürlich auch ich stecken.
    Warum hatte er nicht weitergespielt? Weil ihm die Finger erfroren? Dann hätte er auch den ersten Teil nicht wiederholen können. Wahrscheinlich fiel ihm das Ende nicht mehr ein.
    Ich nahm den Stapel mit Ausdrucken an mich.
    »Gute Nacht«, sagte ich und ging ins Bett. Am meisten interessierte mich die Sache mit dem Brief von Einstein. Was hatte der Entdecker der Relativitätstheorie mit Atatürk zu tun? Und mit Wagner?
    Ich fing an zu lesen. Und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus.
    Mein Nacken ist ganz steif von dem vielen Schreiben, oder vielmehr vom Umorganisieren und Bearbeiten all dessen, was ich geschrieben habe. In meiner linken Körperseite macht sich ein Schmerz bemerkbar. Ich brauche wieder ein wenig Bewegung. Auf dem Bildschirm vor mir ist unser Flugzeug irgendwo über dem Atlantik angezeigt. Ich frage mich, ob ich bis Boston überhaupt fertig werde. Andererseits sind die Textteile, mit denen ich ab jetzt zu tun habe, schon in fortgeschrittenerem Zustand, so dass es wohl schneller gehen dürfte.
    Allerdings hat mein Laptop bald keinen Strom mehr; da muss ich Abhilfe schaffen.
    Ich gehe nach vorne zu einer der Stewardessen und betreibe ein wenig Smalltalk. Ich frage sie, wie lange sie in den USA bleibt und wie sie mit dem Jetlag fertig wird. Sie muss sich wohl gelangweilt haben, da sie sehr bereitwillig antwortet.
    Nach Überseeflügen bleibe sie durchschnittlich drei Tage im jeweiligen Land, und ein ausgeruhtes Team werde mit dem Flugzeug zurückgeschickt. Diesen Rhythmus seien sie alle gewöhnt. Der Jetlag sei nicht beim Hinflug ein Problem, sondern beim Rückflug nach Europa. Manche Piloten und Stewardessen griffen zu Melatonin, um ihrer Schlafprobleme Herr zu werden, aber meine Gesprächspartnerin – Renata heißt sie – ist gegen Medikamente. Ob ich Schriftstellerin sei, fragt sie mich dann, weil ich seit dem Abflug schon schreibe; das sei sehr ungewöhnlich.
    Als ich bejahe, fragt sie mich, worüber ich schreibe. Ich erwidere: »Über deutsche Professoren, die sich während des Dritten Reichs in die Türkei geflüchtet haben.« Davon habe sie noch nie etwas gehört. Ich lächle verständnisvoll und versichere ihr, dass darüber kaum jemand Bescheid wisse. Dann frage ich sie, ob ich meinen Laptop irgendwo aufladen könne. »Natürlich«, sagt sie. Ich hole den Laptop, sie steckt ihn im Stewardessenbereich an, und ich kann nun etwas schlafen. Danke, Renata.

9
    Eure Exzellenz,
    als Ehrenpräsident der Weltorganisation OSE wende ich mich an Eure Exzellenz mit der Bitte, vierzig Professoren und Doktoren aus Deutschland zu erlauben, ihre wissenschaftliche und medizinische Arbeit in der Türkei fortzusetzen. Die betreffenden Personen können ihre Tätigkeit nicht weiter ausüben. Die meisten von ihnen verfügen über weitgehende Erfahrungen, Kenntnisse und wissenschaftliche Verdienste und könnten sich in einem anderen Land als sehr nützlich erweisen.
    Aus einer großen Zahl von Bewerbern hat unsere Organisation vierzig erfahrene Spezialisten und bekannte Gelehrte ausgewählt und möchte Eure Exzellenz hiermit bitten, diesen Männern zu erlauben, sich in Ihrem Land niederzulassen und dort ihren Beruf auszuüben. Diese Wissenschaftler sind bereit, gemäß den Anordnungen Ihrer Regierung ein Jahr lang ohne Bezahlung in irgendeiner Einrichtung zu arbeiten.
    Ich unterstütze dieses Bestreben und erlaube mir, die Hoffnung auszusprechen, dass Ihre Regierung, indem sie dieser Bitte stattgibt, nicht nur einen Akt der Menschlichkeit begeht, sondern auch Ihrem Land einen großen Dienst erweist.
    Als treuer Diener Ihrer Exzellenz verbleibe ich
    Prof. Albert Einstein
    Der am 17. Juli 1933 geschriebene und an den türkischen Ministerrat gerichtete Brief machte mich neugierig auf die »OSE« genannte Organisation, deren Ehrenpräsident Einstein anscheinend gewesen war. Zum Glück hatte die Uni mich vor einer Weile mit einem Laptop ausgestattet, den ich an manchen Tagen mit nach Hause nahm, um nicht wegen jeder Kleinigkeit Kerem anbetteln zu müssen.
    Die OSE hieß mit vollem Namen »Œuvre de secours aux enfants« und war eine 1912 gegründete Hilfsorganisation für jüdische

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