Serenade für Nadja
schönes Frühstück, und dann ab in ein Einkaufszentrum, denn noch war Schlussverkauf, und vielleicht fand ich etwas Hübsches, das ich anziehen konnte, wenn ich den Professor aus dem Krankenhaus abholte.
Als ich die Vorhänge aufzog, wurde ich von der Sonne geblendet. Aber so war eben Istanbul. Erst wurde man tagelang mit Regen, Wind und Kälte geplagt, und als fühlte die Stadt sich danach schuldig, schenkte sie einem mitten im Winter einen Frühlingstag.
Heute würden die Menschen an den Bosporus strömen, ans Marmara-Meer, zu Tausenden würden sie ihre Angeln ins Wasser halten, und die Uferlokale würden selbst spätabends noch überfüllt sein. Istanbul war eben Istanbul. Eine grausame, gefährliche Stadt, aber auch eine wunderschöne. Wie hatte der Professor doch gesagt: »Immer wieder verrät sie dich, und dennoch liebst du sie.« Und in einem Gedicht von Yahya Kemal hieß es: »Wenn das Herz Istanbul nicht liebt, was versteht es dann von der Liebe?«
Ich lugte in Kerems Zimmer. Mein neuer Verbündeter schlief noch wie ein Engel. Sollte er ruhig, ich ging erst mal ins Bad.
Als wir um zehn gerade gemütlich beim Frühstück saßen und Kerem mir gut gelaunt die absurdesten Spionage-Geschichten erzählte und ich im Spaß so tat, als ob ich mich als Spionin betätigen wollte und von der britischen Regierung schon ein Angebot hätte und selbstverständlich auch meinen Sohn mit an Bord nehmen würde … läutete es an der Tür. Es ist doch eine unumstößliche Regel: Wenn ein Tag so schön anfängt, muss irgendjemand kommen und ihn einem verderben.
Es war Ahmet, der Kerem für das Wochenende abholen wollte. Daran war zwar im Grunde nichts Außergewöhnliches, denn so lautete unsere Abmachung, aber da er meistens trotzdem nicht auftauchte, fragte ich mich, warum er ausgerechnet heute kam, und noch dazu so früh.
Er stand im Treppenhaus und sah mich aus seinen engstehenden Augen an. Sogar seine Art, Hallo zu sagen, hatte etwas Falsches. Wie ein pubertierendes Mädchen kam er mir vor, das ständig umgarnt werden will. Wegen seines guten Aussehens kam er immer wieder an Frauen heran, die ihn nicht gleich durchschauten, aber in erster Linie tat er das, um sich zu beweisen, wie unwiderstehlich er war.
Ich kannte ihn so gut, dass ich ein Buch über ihn hätte schreiben können. Morgens verbrachte er immer eine gute Stunde im Bad und putzte sich heraus, und oft genug hatte ich ihn dabei erwischt, wie er sich bewundernd im Spiegel ansah. Jetzt, wo er auf die fünfzig zuging und ihm die Haare ausfielen, hatte sein Ego immer mehr zu kämpfen. In seiner Jugend hatte er sich eingeredet, er sei ein Dichter und werde einmal große Werke hervorbringen. Oft hatte er Wein auf Wein getrunken und dabei auf kleine Zettel die blödsinnigsten Gedichte geschrieben, die ich immer lesen musste, wenn er sie nicht gleich selber laut vorlas.
Wie schlecht diese Gedichte waren, merkte ich natürlich von Anfang an, aber ich tat immer so, als würden sie mir gefallen. Damit begnügte er sich jedoch nicht, sondern jeden seiner Verse musste man preisen wie einen Gesang von Dante.
Männer werden hier als Jungen von den Eltern geschlagen, dann bekommen sie durch die Beschneidung auch noch ein geschlechtliches Trauma mit auf den Weg, und mit dem Prügeln geht es dann in der Schule, beim Militär und auf dem Sportplatz fort. Wie sollte einem da noch Selbstvertrauen bleiben? Bei den meisten wirkte sich das so aus, dass sie dann gerne Schwächere unterdrückten. Ahmet dagegen war sogar dazu zu feige.
In der Hoffnung, hereingebeten zu werden, begann er ein Gespräch.
»Na, was machst du so?«
»Ach, nichts Besonderes. Ich versuche, Geld zu verdienen, um meinen Unterhalt und die Schule meines Sohnes zu bezahlen.« Dann rief ich nach hinten: »Kerem, mach dich fertig, dein Vater wartet unten im Auto auf dich.«
Als ich die Tür zumachte, sah ich noch, wie Ahmet den Kopf vorstreckte, um noch irgendetwas zu sagen; doch was immer das gewesen sein mochte, er konnte es nur noch der Tür sagen.
Als Kerem fertig war, steckte ich ihm Geld zu.
»Zeig das aber nicht deinem Vater. Wenn du was willst, dann kauf es ja nicht selber, das soll er machen. Dann hast du das da für nächste Woche.«
Wortlos schlüpfte er zur Tür hinaus. Kein Danke schön, kein Auf Wiedersehen. So ging es zu in unserer seltsamen Familie.
Obwohl ich einmal pro Woche eine Putzfrau kommen ließ, musste ich nun ein wenig aufräumen, denn alles konnte ich der guten Frau nicht
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