Serenade für Nadja
vors Gesicht, um ihre Tränen zu verbergen, und lief hinaus in den Garten.
Maximilian fand sie im Gartenhaus. Er umarmte ihren zitternden Körper und lehnte den Kopf an ihre Schulter.
»Es ist mir ernst, Nadja. Bitte heirate mich.«
Dann küsste er sie zum ersten Mal auf den Mund.Am folgenden Abend herrschte im Hause Wagner gedrückte Stimmung. Maximilian saß auf dem Sofa und hörte sich schweigend an, was seine Eltern ihm in kurzen Sätzen erklärten. Es bestand kein Zweifel daran, dass sie nur das Glück ihres einzigen Sohnes im Auge hatten. Eigentlich waren sie liberal gesinnt, aber dennoch …
»Warum ausgerechnet eine Jüdin«, fragte sein Vater.
»Wir wissen, wie schmerzlich es für dich wäre, auf diese Heirat zu verzichten«, sagte seine Mutter.
Doch Maximilian antwortete:
»Ich werde Nadja heiraten. Sie hat gestern Abend ja gesagt.«
Seine Mutter erstarrte. Hilfesuchend sah sie ihren Mann an. Der setzte eine Miene auf, als habe sich ein neuer, völlig unerwarteter Umstand ergeben, den es nun abzuwägen galt. Mit auf die Hand gestütztem Kinn saß er eine Weile da, dann straffte er sich auf einmal.
»Na, dann müssen wir uns um die Hochzeit kümmern!«
Maximilian begann zu lachen, und als sein Vater in das Lachen einstimmte, wurde er richtig ausgelassen. Schließlich stimmte auch die Mutter mit ein, und sie lachten alle drei.
Mit Tränen in den Augen sagte sie schließlich: »Ich hab’s gewusst, dass er nicht lockerlässt. Er ist doch ein Wagner. Die Wagners kenne ich jetzt gut genug. Wenn die sich was in den Kopf setzen …«
Maximilians Vater gab durch ein Zeichen zu verstehen, dass er etwas Wichtiges zu sagen hatte.
»Aber eines bedinge ich mir aus: Ihr zieht in eine andere Stadt und sagt dort niemandem, dass Nadja Jüdin ist. Als Frau Wagner bleibt sie vielleicht unbehelligt.«
Das wurde auf der Stelle akzeptiert. Dann suchten sie Nadjas Eltern auf, die in einem baufälligen Haus in einem Vorort wohnten. Nadjas Vater stammte aus Rumänien und war Änderungsschneider. Seit dem Judenboykott kam jedoch kaum noch jemand in seinen Laden. Auch Nadjas Familie nahm den Entschluss mit mehr Sorge als Freude auf.
Einige Wochen später wurde im Garten der Wagners einekleine Hochzeitsfeier abgehalten, und die beiden jungen Leute nach katholischem Ritus getraut. Rabbiner war keiner zugegen, doch als die übrigen Gäste gegangen waren, ließen die beiden Familien unter sich auch die jüdischen Traditionen zu Ehren kommen.
Nadja und Maximilian stellten sich unter eine Chuppa, man füllte ihre Gläser mit geweihtem Wein, und sie tranken daraus. Danach wurde die Ketuba, der Ehevertrag, verlesen und unterschrieben. Nach den sieben Segenssprüchen zertrat Maximilian zum Abschluss ein Weinglas.
Dann nahm er seine Geige zur Hand, und seine Mutter ging zu dem Bösendorfer, der in den Garten geschafft worden war. Es standen zwei Kandelaber mit brennenden Kerzen darauf.
Als die Serenade zu Ende ging, wartete Maximilian zunächst ab, bis der Applaus verklungen war, dann verkündete er den Namen, den er seiner Komposition verliehen hatte: »Serenade für Nadja«.
Um Nadja dem Druck, der auf die Juden ausgeübt wurde, weiter zu entziehen, wurde beschlossen, ihr einen Namen zu geben, der hauptsächlich von Christen benutzt wurde, und so sollte sie fortan Katharina heißen.
Bereits kurz nach der Hochzeit trat Maximilian eine Stelle an der Universität Heidelberg an, und so zogen sie in jene schöne Stadt um, als Maximilian und Katharina Wagner.
Unter Maximilians Kollegen befand sich kein einziger Jude, doch war das zuletzt auch in München schon so gewesen. Einige seiner Freunde waren nach Istanbul gegangen. In Briefen, die ihn über Marseille erst nach Monaten erreichten, wurde ihm die Stadt recht positiv geschildert.
Das Ehepaar Wagner konnte über Monate und Jahre hinweg unbehelligt dahinleben, doch abends sprachen sie immer öfter über ihre Ängste und Sorgen. Nie hätten sie gedacht, dass es so schlimm kommen würde. Wie so viele hatten auch sie sich geirrt. Das Dritte Reich war nicht innerhalb weniger Jahre zusammengebrochen, sondern wurde stärker und stärker.
Da reiste Nadjas Familie auf einen Beschluss des Vaters hin fluchtartig nach Rumänien aus. Sie hatten niemanden davon informiert, damit ihnen keine Steine in den Weg gelegt wurden. Für Maximilian und Nadja war es eine gute Nachricht, denn zumindest blieb die Familie so unversehrt.
Professor Maximilian Wagner hielt seine festlich gekleidete
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