Serenade für Nadja
Nervenkostüm und wurde immer wieder von Gefühlsstürmen überwältigt.
Maximilian las damals wieder Goethes Die Leiden des jungen Werthers . Als der den Roman als Jugendlicher zum ersten Mal gelesen hatte, war ihm unbegreiflich gewesen, warum das Buch seinerzeit eine Selbstmordwelle ausgelöst hatte. Nun verstand er es. Um den tieferen Sinn des Romans zu erfassen, musste man also unsterblich verliebt sein, und das war er jetzt. Er dachte an Nadja, wenn er unterrichtete, er hatte sie vor Augen, wenn er Geige spielte, er sagte Gute Nacht, geliebte Nadja, wenn er zu Bett ging, und Guten Morgen, geliebte Nadja, wenn er erwachte, und jedenAugenblick ohne sie erachtete er als verlorene Zeit. Sein einziger Trost war die Arbeit an der Serenade. Sich an einer Serenade zu versuchen, nachdem ein Genie wie Schubert die wohl berühmteste der Musikgeschichte komponiert hatte, mochte eine Verrücktheit sein, doch Maximilian ließ sich nicht entmutigen und probierte an dem imposanten Bösendorfer im Wohnzimmer seiner Eltern alle möglichen Melodien und Harmonien und brachte sie zu Papier.
Schubert hatte seine »Serenade« 1826 geschrieben. Ein Bekannter von ihm, Franz Doppler, schildete die Entstehungsgeschichte so: »Schubert befand sich eines Sonntags im Sommer 1826 mit mehreren Bekannten von Pötzleinsdorf aus auf dem Heimweg nach der Stadt, als er beim Wandern durch Währing Freund Tieze in dem Gasthausgarten Zum Biersack an einem Tisch sitzend sah. Die Gesellschaft beschloss daher, ebenfalls Rast zu machen. Tieze hatte ein Buch vor sich liegen, in welchem Schubert alsbald zu blättern begann. Plötzlich hielt er inne, und auf ein Gedicht zeigend äußerte er: ›Mir fällt da eine schöne Melodie ein, hätte ich nur Notenpapier bei mir!‹ Ich zog nun auf der Rückseite eines Speisezettels die entsprechenden Linien, und während eines durch Harfenisten, Kegelschieber und hin und her eilende Kellner verursachten echten Sonntagstumultes schrieb Schubert das reizende Liedchen auf.«
Maximilian steckte in einem Dilemma. Unwillkürlich würde jedermann seine Serenade mit der von Schubert vergleichen. Dennoch bestand er darauf, dass die Komposition »Serenade« heißen sollte. Er wusste selbst nicht genau, warum.
Hier muss ich einmal kurz dazwischengehen. Die Welt, die Max schildert, kommt mir so fremd vor, dass ich kaum an sie glauben kann. Ich würde das alles für eine fürchterliche Übertreibung halten, hätte ich es nicht aus dem Mund eines so leidgeprüften Mannes gehört. Selbstmorde wegen eines Romans, unsterblich Verliebte, Serenaden … In der heutigen Welt wäre so etwas nicht möglich. Bei der Vorstellung, Ahmet, Tarık oder später einmal Kerem würden so handeln, kann ich nur lachen. Vielleicht ist Romantik ja etwas Ansteckendes. An der Sache mit dem Zeitgeistwird schon etwas dran sein. Nun ja, kommen wir zu der Geschichte zurück.
Maximilians Mutter Hannelore war eine gute Pianistin. Bei Kindern aus gutem Hause wurde damals auf musikalische Erziehung großer Wert gelegt. Hannelore wurde schon als Kind in die Obhut der besten Lehrer gegeben und brachte es so zu pianistischen Höchstleistungen. Als Maximilian mit seiner Serenade fertig war, bat er die Mutter, sie gemeinsam mit ihm zu spielen. Die Mutter setzte sich ans Klavier, Maximilian griff zur Geige, und so wurde das Stück zum ersten Mal aufgeführt. Gemeinsam verbesserten sie dann einige Kleinigkeiten.
An jenem Abend war Nadja zum Essen eingeladen. Es wurde ein angenehmer Abend. Alle vermieden bei Tisch, über Politik und über die wachsenden Spannungen im Land zu reden, und das Thema Judentum wurde schon gar nicht angeschnitten. Als sie danach im Wohnzimmer beim Kaffee saßen, sagte Maximilians Mutter: »Max hat da was Hübsches komponiert.«
»Gerade wollte ich vorschlagen, dass wir spielen«, griff Maximilian die Worte seiner Mutter auf.
Er stimmt seine Geige, dann fingen sie an zu spielen. Es war ein ergreifendes Stück. Maximilians Vater Albert hörte beeindruckt zu, doch weit tiefere Wirkung tat die Musik bei Nadja. Bald musste sie sich schon auf die Lippen beißen, um nicht loszuweinen. Sie atmete immer heftiger und wurde ganz rot im Gesicht.
Sie klatschte mit, als das Stück zu Ende war, aber da sagte Maximilian auf einmal: »Wahrscheinlich hat noch nie jemand seinen Heiratsantrag mit Hilfe seiner Mutter gemacht, aber ich tu es jetzt. Nadja, willst du meine Frau werden?«
Das war zuviel für die arme Nadja. Sie sprang auf, schlug die Hände
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