Serenade für Nadja
natürliche Eleganz noch unterstrich, doch diesmal lag in seinen Bewegungen eine ungewohnte Hast, die sofort auffiel.
Dabei war Maximilian Wagner es gewohnt aufzufallen. Er fiel jungen Mädchen auf, da er gutausehend und galant war. Und nicht zuletzt fiel er seinen Professoren auf, die in ihm einen fleißigen und selbständig denkenden angehenden Wissenschaftler sahen.
Als Wagner durch einen Ring von Schaulustigen hindurch zu der Gruppe von einem knappen Dutzend Studenten mit Hakenkreuzabzeichen gelangt war, stampfte er energisch mit dem Fuß auf. Die Studenten ließen von dem jungen Mädchen ab, um das sie herumstanden, und wandten sich dem Assistenten zu.
Wenn im Deutschland des Jahres 1934 ein Mitglied des Lehrkörpers an Studenten herantrat, durfte man es nicht an Achtung fehlen lassen, und war er auch erst zwanzig und damit gerade ein oder zwei Jahre älter als die Studenten selbst. Noch dazu galt als ausgemacht, dass Wagner bald ein angesehener Professor sein würde, eine Autorität auf seinem Gebiet.
Deshalb hörten die Studenten auf, das Mädchen in ihrer Mitte zu drangsalieren, und blickten auf Maximilian Wagner.
Das Mädchen verharrte noch in der geduckten Schutzhaltung, in der es versucht hatte, sich der Anfeindungen zu erwehren. Ihre Haare waren zerzaust, ihr Gesicht gerötet.
Der junge Assistent hielt dem jüdischen Mädchen seine Hand hin. Sie schob ihre Gegner, die ihr noch im Weg standen, beiseite, und ohne Maximilians Hand zu ergreifen, stellte sie sich hinter ihn. Obwohl sie nun aufrecht dastand, reichte sie nur bis zu den Schultern Maximilians, die sie verlegen anstarrte.
Einer der Deutschen sagte: »Warum schützen Sie diese Jüdin?«
»Ich lasse nicht zu, dass einer Studentin von mir ein Unrecht geschieht«, erwiderte Wagner mit fester Stimme. »Wir sind hier an der juristischen Fakultät, haben Sie das vergessen?«
Murrend zogen die Studenten ab.
Maximilian drehte sich um und sah den verlegenen, bewundernden Blick Nadjas.
»Ist alles in Ordnung?«, fragte er besorgt.
»Es geht schon wieder. Vielen, vielen Dank.«
»Kommen Sie, gehen wir einen Kaffee trinken.«
Als sie nebeneinander hergingen, wunderte Maximilian sich. Wie konnte er nur so selbstsicher mit diesem Mädchen umgehen, das er seit Monaten verehrte? Wahrscheinlich nur deshalb, weil er in dem Moment einfach seine Pflicht getan hatte, ohne viel zu überlegen.
Seit Monaten dachte er andauernd an Nadja. Kaum war sie in seiner Nähe, verließen ihn alle Kräfte, als sei er nicht mehr Herr über sich selbst.
Beim Betreten des Fakultätsgebäudes empfand Maximilian freudig, dass für ihn ein neuer Lebensabschnitt begann. Zum ersten Mal saß er mit seiner Angebeteten an einem Tisch. Zum Kaffee teilten sie sich einen Bienenstich.
Für Maximilian zählte in dem Moment allein, dass er Nadja so nahe sein durfte, aber eigentlich war die Lage alles andere als rosig. Die Verhältnisse wurden Tag für Tag schlimmer, und Nadja befürchtete, dass sie bald nicht mehr an die Universität kommen könnte.
»Dann gebe ich Ihnen Privatunterricht«, versuchte Maximilian sie zu trösten. »Bitte willigen Sie ein. Dieses Unrecht tut mir in der Seele weh.«
Nadja senkte den Kopf und knabberte an ihren Lippen.
»Warum nehmen Sie ein solches Risiko auf sich?«
»Ich bin vor allem Jurist. Unser Land steckt in einer Krise, aber Sie werden sehen, die anständigen Deutschen werden diesem Treiben bald Einhalt gebieten.«
Zweifelnd sah Nadja ihn an. Sie wollte etwas sagen, brachte aber nichts heraus. Ihre Blicke waren zwar voller Dankbarkeit, dennoch schüttelte sie den Kopf.
»Bitte«, sagte Maximilian flehend. »Wenn Sie es schon nicht für sich selber tun, dann tun Sie es für mich und beruhigen Sie damitmein Gewissen. Dieser Wahnsinn hat bald ein Ende, dann können Sie zur Prüfung antreten und weiterstudieren.«
»Ich weiß nicht.«
»Sie sollen kein Risiko mehr eingehen. Die Nazis werden immer brutaler und rücksichtsloser. Ein Kollege hat mir neulich einen Drohbrief gezeigt, den er bekommen hat. Da stehen fürchterliche Dinge drin. Wenn Sie nicht wollen, dass ich mir jeden Tag um Sie Sorgen mache, dann nehmen Sie bitte meinen Vorschlag an.«
Es war Nadja anzusehen, dass trotz der Bedenken ihr Widerstand nachließ.
»Wenn Sie es gefährlich finden, dass ich in die Universität komme, dann sollte der Unterricht also nicht hier stattfinden?«
»Nein … Ich meine ja, Sie haben recht.«
»Wo dann?«
Maximilian lächelte, und zum ersten
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